TV-Tipp des Tages: "Das Feuerschiff" (ARD)
Konfrontiert mit archetypischer Brutalität, muss sich ein Mann entscheiden: Eignet er sich die Spielregeln seiner Feinde an – oder belässt er es bei gewaltlosem Widerstand?
16.03.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Das Feuerschiff", 16. März, 20.15 Uhr im Ersten

Siegfried Lenz’ Erzählsammlung "Das Feuerschiff" ist 1960 erschienen und wurde damals, 15 Jahre nach dem Ende der Nazi-Dikatur, als Parabel auf das Verhalten vieler Deutscher zu Beginn des "Dritten Reichs" interpretiert: Sie waren zwar gegen Adolf Hitler und die NSDAP, unternahmen aber nichts. Dabei ist Johann Freytag, die Hauptfigur, alles andere als der Feigling, für den ihn sein Sohn hält. Seine Besonnenheit ist eine Frage der Erfahrung: Voreiligkeit kann tödlich sein. Deshalb bittet der Kapitän des letzten schwimmenden Leuchtturms vor der Küste, eines so genannten Feuerschiffs, seine Leute, Ruhe zu bewahren, als sich drei Schiffbrüchige als gesuchte Raubmörder entpuppen. Die zahlenmäßig überlegene Mannschaft aber will mit den Gangstern kurzen Prozess machen. Entsprechende Versuche schlagen allerdings fehl; den ebenso blutigen wie tödlichen kurzen Prozess machen die Gangster.

Hier der Moralist, dort der eiskalte Gangster

Johann Freytag ist im Grunde ein ganz ähnlicher Typ wie Jan Hinrichs, der "Mann im Strom", und deshalb war es mehr als nahe liegend, denselben Hauptdarsteller zu verpflichten. Erneut bietet Jan Fedder, als "Mann im Strom" (2006) mit einem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet, eine herausragende Leistung, was nicht zuletzt dem Mit- beziehungsweise Gegenspieler zu verdanken ist. So perfekt die Rolle des Idealisten zu Fedder passt, so kongenial ist die Besetzung des intelligenten Verbrechers Caspary mit Axel Milberg. Hier der Moralist, dort der eiskalte Gangster, der das Kräftemessen mit dem Kapitän sichtlich genießt: Die beiden Schauspieler ergänzen einander perfekt; ihre Dialoge stammen zu großen Teilen wortwörtlich von Lenz, der ganz am Anfang einen Gastauftritt als Angler hat. Fedder vergleicht das Kräftemessen der beiden Archetypen mit Fred Zinnemanns Klassiker "Zwölf Uhr mittags" ("High Noon"), und tatsächlich erinnert die Handlung an das Grundmuster vieler Western: Gut und Böse sind klar verteilt; am Ende hängt der Erfolg des Duells auch davon ab, wer die besseren Nerven hat.

War die erste Drehbuchversion von Lothar Kurzawa (er adaptierte auch schon "Der Mann im Strom") ähnlich wie die Verfilmungen aus den Jahren 1963 und 1986 vor allem als Thriller angelegt, so hält sich die endgültige Fassung wieder viel stärker ans Buch, was dem Film ohne Frage gut tut. Eine Figur allerdings wurde hinzugefügt: Während die Erzählung reine Männersache ist, wartet nun an Land eine Frau (Margarita Broich) auf Freytag. Zum Einen kann die Handlung auf diese Weise die klaustrophobische Enge des Schiffes immer wieder mal verlassen (Regie: Florian Gärtner), zum Anderen hat der Kapitän nun natürlich noch mehr zu verlieren.

Auch wenn die letzten Feuerschiffe im Zeitalter satellitengesteuerter Navigationssysteme längst ausgedient haben, so behält das Bild vom Licht im Dunkel, das eine sichere Passage durch unsicheres Gewässer garantiert, trotzdem seine metaphorische Kraft. Gleiches gilt für Freytag, den letzten Idealisten, der eine instinktive Abneigung gegen Helden und Märtyrer hat, mit seinem vorbildlichen Verhalten aber trotzdem ein Zeichen setzt.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).