Filmkritik: "In einer besseren Welt"
Der Film bietet keinen einfachen Lösungen: Susanne Biers oscarprämiertes Drama ist eine feinfühlige Allegorie auf die biblischen Motive von Schuld und Rache.
15.03.2011
Von Marli Feldvoß

Die dänische Regisseurin Susanne Bier interessiert sich für Menschen, deren Leben in sicheren Bahnen zu verlaufen scheint - bis sie mit einem schrecklichen Ereignis konfrontiert werden. Der Dogma-Film "Open Hearts"(2002) spielte noch in Biers dänischer Heimat - weil es die Regeln des Dogma-Manifestes so verlangten. Aber seitdem schwärmt sie aus in ferne Länder und sucht den globalen Blick. Weniger, um ein bisschen Lokalkolorit in die blutarmen heimischen Verhältnisse zu pumpen, sondern um noch tiefer in den Kern menschlichen Handelns vorzudringen.

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Ihr neuestes Werk "In einer besseren Welt" hat dieses Jahr den Oscar als bester fremdsprachiger Film gewonnen. Der Film beginnt in einem Flüchtlingslager irgendwo in Afrika. Anton, Mitarbeiter von "Ärzte ohne Grenzen", arbeitet in einer Krankenstation und wird - gleich in den ersten Filmminuten - zur Notoperation einer beinahe schon verbluteten jungen Frau geholt. Dann schwenkt der Film nach London zu einer Trauerfeier, wo der zwölfjährige Christian mit Fassung ein Gedicht für seine an Krebs verstorbene Mutter aufsagt.

Zwei Kulturen, zwei Ereignisse, beide von schrecklicher Tragweite, zwei "Helden" und deren "Heldentaten". Der Film setzt auch weiterhin auf Gegensätze, lässt weitere "Heldentaten" folgen, dividiert die beiden Protagonisten Anton und Christian, die alsbald in der Heimat aufeinandertreffen, immer weiter auseinander.

Der charismatische Anton (ideal besetzt mit dem Schweden Mikael Persbrandt) ist von Beruf ein Heiler, der die Opfer eines unfassbar grausamen afrikanischen Warlords behandelt. Und im Privatleben ist Anton ein Schlichter, der seinen Kindern Gewaltverzicht vorzuleben versucht. Sein Sohn Elias ist ausgerechnet der Sündenbock der Schule und wird ständig drangsaliert. Für ihn spielt Christian (William Johnk Nielsen), frühreif, eigensinnig, verschlossen, den Beschützer. Christian entwickelt sich zu einem kindlichen Rachenegel, der richtig gefährlich wird, als er Schwarzpulver im Schuppen entdeckt und anfängt, eine Bombe zu bauen.

Abwesende unglaubwürdige Väter, nicht mehr zuständige Mütter, eine mit falscher Toleranz agierende Schulverwaltung - viele Bausteinchen verdichten eine Filmhandlung, die ihrem Höhepunkt zustrebt, gleichzeitig jedoch versucht, die wahren Zusammenhänge aufzudecken, die Motive der Akteure zu ermitteln. Für die Lebensferne und Isolation, die große Einsamkeit Christians nach dem Verlust der Mutter steht das hoch aufragende Silogebäude, auf das er immer wieder hinaufsteigt. Dann sitzt er dort oben und spielt Gott. Aber er ist eben noch ein Kind.

Anzeichen von Hoffnung in Hülle und Fülle

Die Figur erinnert zuweilen an Michael Hanekes verirrte kindliche Kinohelden, nur hier gibt es keine vergletscherte Welt, sondern Anzeichen von Hoffnung in Hülle und Fülle, man muss nur wollen. Gerade an der Figur des Anton, der manchmal wie ein Heiliger erscheint, zeigt sich, wie die Moral in einem Bier-Film (unter Zutun des hervorragenden Drehbuchautors Thomas Anders Jensen) funktioniert. Auch Anton wird nicht bis zum Schluss in Demut die andere Wange hinhalten, auch er hat gefehlt, als er sich einen Seitensprung geleistet hat, auch er ist kein Übermensch.

Biers Filme sind allesamt auch Lehrstücke, die nach guten Lösungen suchen, die ein Stück heilen wollen, es aber nicht immer besser wissen. Mit der "besseren Welt" im Titel sind wohl die westlichen Wohlstandgesellschaften gemeint, die von Rissen durchzogene zivilisierte Gesellschaft, die auch all das in sich trägt, was an einem blutrünstigen afrikanischen Warlord verabscheuungswürdig erscheint, der den Schauplatz archaischer Rituale nie verlassen hat.

Dänemark/Schweden 2010. Regie: Susanne Bier. Buch: Susanne Bier, Thomas Anders Jensen. Mit: Mikael Persbrandt, Trine Dyrholm, Ulrich Thomsen, Markus Rygaard, William Johnk Nielsen. 113 Min., FSK: 12, ff. FBW: besonders wertvoll

epd