Nach zehn Jahren an der Spitze der Stasi-Unterlagenbehörde hat Marianne Birthler am Montag ihr Amt an den früheren DDR-Bürgerrechtler Roland Jahn übergeben. Bei einem Festakt im Deutschen Historischen Museum in Berlin würdigte Kulturstaatsminister Bernd Neumann die Arbeit der scheidenden Bundesbeauftragten. Bundestagspräsident Norbert Lammert (beide CDU) bezeichnete die Arbeit der Stasi-Unterlagen-Behörde als Beitrag zur "Stärkung und Schärfung des demokratischen Selbstbewusstseins".
Birthler habe immer zu denen gehört, "die die Vergangenheit auf keinen Fall ruhen lassen wollten - und der diese Vergangenheit selbst keine Ruhe ließ". Mit Recht werde ihr Name mit glaubwürdiger Aufarbeitung verbunden, betonte Neumann. Der neue Bundesbeauftragte Roland Jahn bürge wie seine Vorgängerin "mit seiner Biografie" für das, was die Einrichtung "leisten soll".
Kulturstaatsminister Neumann führt Jahn ins Amt ein
Sein Name stehe seit vielen Jahren für Opposition und Widerstand gegen das DDR-Regime. Nach seiner Zwangsausbürgerung aus der DDR 1983 habe Jahn als ARD-Journalist immer wieder packend und erschütternd über die Situation in der DDR berichtet, so der Kulturstaatsminister. Jahn war am 28. Januar vom Bundestag zum neuen Stasi-Unterlagen-Beauftragten gewählt worden. Birthler stand seit 2001 für zwei Amtszeiten an der Spitze der Behörde.
Neumann warnte bei dem Festakt zugleich vor einer Verharmlosung der SED-Diktatur. Über 20 Jahre nach dem Ende der DDR gebe es wieder Tendenzen, "den DDR-Alltag in ein rosarotes Licht zu stellen". "Das können wir nicht zulassen", betonte der CDU-Politiker. Die SED-Diktatur dürfe nicht "mit Hilfe der Unwissenheit und des Verleugnens weichgespült werden".
Frühere Stasi-Mitarbeitern in der Behörde "unerträglich"
Die Ernennungsurkunde des neuen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen war noch handwarm, als Roland Jahn die ersten Eckpfeiler seiner künftigen Arbeit einschlug. Die Beschäftigung von früheren Stasi-Mitarbeitern in der Behörde sei unerträglich, sagte der frühere DDR-Oppositionelle am Montagabend beim Festakt zum Stabwechsel in der Behörde in Berlin. Jeder frühere Stasi-Mitarbeiter in der Behörde sei ein Schlag ins Gesicht der Opfer, sagte der 57-Jährige entschlossen. Da könne man nicht nur auf das Arbeitsrecht verweisen. Er verstehe sich als Anwalt der Opfer.
"Die Auseinandersetzung mit der Diktatur muss weitergehen", betonte der parteilose, bisherige Fernsehjournalist. Einen neuen Schwerpunkt kündigte er gleich mit an: Das Thema Anpassung in der Diktatur werde in den Mittelpunkt gerückt. Der Zugang zu den Akten dürfe nicht verschlossen werden. Und: "Auch in Zukunft sollen die Täter beim Namen genannt werden." Einstige Systemträger würden ihre Verantwortung weiter leugnen und die Vergangenheit verklären. Auch deshalb müssten die Akten offenbleiben. Er heimste viel Beifall ein, als er sagte: Die Behörde ist kein Geschenk des Bundestages, sie ist eine Errungenschaft der friedlichen Revolution.
16 Prozent der Stasi-Akten noch nicht aufgearbeitet
Die Gedenkstätte Museum in der "Runden Ecke" in Leipzig und das Stasi-Museum in der ehemaligen Zentrale des DDR-Geheimdienstes im Berliner Stadtteil Lichtenberg appellierte an Jahn, eine schnellere Erschließung der Akten zu einem zentralen Anliegen seiner Arbeit zu machen. Die Stasi-Unterlagen-Behörde sollte sich in den kommenden Jahren wieder "auf ihr Kerngeschäft fokussieren", erklärten beide Einrichtungen am Montag in Leipzig. Noch immer seien rund 16 Prozent der Sachakten nicht aufgearbeitet, hieß es.
Stattdessen habe sich dre Behörde unter Birthlers Leitung in den vergangenen Jahren immer mehr auf Feldern betätigt, die längst von anderen Institutionen und Initiativen bearbeitet werden, kritisierten sie. Dazu zählten zum Beispiel der Auf- und Ausbau von Dokumentationszentren, die Herstellung von Informationsmaterialien und die Ausrichtung von Bildungsveranstaltungen.
Die Stasi-Unterlagen-Behörde wurde mit der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 gegründet. In ihren Archiven werden die Unterlagen der DDR-Staatssicherheit, die Geheimpolizei und Nachrichtendienst war, erschlossen sowie betroffenen Bürgern, Forschern und Journalisten zur Verfügung gestellt.