TV-Tipp des Tages: "Copacabana" (3sat)
Vier Paare verbringen gemeinsam das Wochenende. Im Verlauf der Handlung gelangen alle an einen Punkt, an dem sie sich entscheiden müssen: zwischen Neuanfang und Trennung.
15.03.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Copacabana", 15. März, 20.15 Uhr auf 3sat"

Ich habe mir das alles ganz anders vorgestellt", sagt Maria irgendwann verbittert. Aber so ist es doch immer, wenn man sich im Kreise der Lieben zum Familienfest trifft: Alte Rechnungen werden beglichen, längst vernarbt geglaubte Wunden brechen wieder auf, neue werden zugefügt; und je mehr sich alle Beteiligten bemühen, die Contenance zu bewahren, um so größer wird die Kluft zwischen Hoffnung und Wirklichkeit.

Xaver Schwarzenberger hat sich für diese Koproduktion von MDR und ORF ein wahrhaft großes Ensemble zusammenstellen dürfen. Die Darstellerliste wird angeführt von Bruno Ganz, der nur selten fürs Fernsehen gearbeitet; schon allein seine Besetzung signalisiert, dass es sich bei Stefan Rogalls Drehbuch um etwas ganz Besonderes gehandelt haben muss. Vordergründig erzählt der Autor ("Der Kronzeuge") die ganz alltägliche Geschichte eines in die Jahre gekommenen Ehepaares. Die drei Kinder sind längst aus dem Haus, und auch Maria (Nicole Heesters) möchte nach 35 Jahren Aufopferung endlich eigene Wege gehen; ihr Freund Gregor (Friedrich von Thun) wartet nur auf ihren Anruf.

Ausgerechnet am Hochzeitstag will Maria die Familie mit der Nachricht konfrontieren. Dabei steht es um die Beziehungen der Kinder ebenfalls nicht zum Besten: Die eifrig bemühte Tochter Angelika (Christiane Paul) und ihr Mann Harald (Wotan Wilke Möhring) demontieren ihre Ehe bereits öffentlich. Der ewige Student Mark (Devid Striesow), den Vater Herbert, ein erfolgreicher Achitekt, gern in den eigenen Fußstapfen sähe, ist zum wachsenden Unmut von Freundin Sarah (Liane Forestieri) viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, und Laura (Nina Blum) wechselt die Männer ohnehin nach Lust und Laune. Aber auch Herbert (Ganz) hütet ein existenzielles Geheimnis.

Vier Paare sind es insgesamt, die das Wochenende miteinander verbringen wollen. Im Verlauf der Handlung gelangen alle an einen Punkt, an dem sie sich wie Maria entscheiden müssen: zwischen Neuanfang und Trennung. Entsprechend verletzlich sind die Figuren, entsprechend verletzend viele Dialoge. Ähnlich wie Daniel Nocke ("Ende der Saison", "Familienkreise", zuletzt "Mitte dreißig") gelingt es Rogall, ganz alltägliche Situationen zu beschreiben. Die Personen reden, wie man das eben so tut, was die Gespräche mitunter schmerzlich lebensnah erscheinen lässt; trotzdem sind die Dialoge mitunter messerscharf und ohnehin von entlarvender Doppeldeutigkeit

Schwarzenberger (Regie und Kamera) war in den letzten Jahren immer dann am besten, wenn er mit ausgezeichneten Schauspielern elegant auf einem schmalen Grat zwischen Komödie und Melodram wandelte ("Zuckeroma", "Muttis Liebling"). Die düstersten Figuren waren dabei interessanterweise immer wieder ältere Damen. Auch in "Copacabana" gibt es so eine Rolle: Erni Mangold spielt Großmutter Rita, die mit ihren zynischen Kommentaren als einzige die unbequemen Wahrheiten ausspricht. Ausgerechnet Rita rettet Angelikas Ehe, als sie auf raffinierte Altersweise einen Seitensprung mit Ninas aktuellem Schwarm (Xaver Hutter) verhindert. In Ritas Biografie findet sich auch der Schlüssel für den scheinbar völlig unpassenden Titel, doch dieses Geheimnis lüften Rogall und Schwarzenberger erst ganz am Ende.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).