Fünffachmord macht Westbank zum Pulverfass
An die blutigen Ereignisse vom Samstag erinnert auf den ersten Blick nur wenig. Das hölzerne Namensschild der Familie Fogel steht noch auf dem Boden. An der Wohnungstür hängt das Blatt mit der freudigen Mitteilung, dass Tochter Hadas vor drei Monaten geboren wurde. Allerdings wachen vor dem Einfamilienhaus drei Soldaten. Und eine israelische Flagge flattert im Wind.
14.03.2011
Von Hans Dahne

Hier, in der israelischen Siedlung Itamar im Westjordanland, haben bislang unbekannte Täter fünf von acht Familienmitgliedern mit Messern getötet. Das jüngste Opfer war die kleine Hadas. Als die zwölf Jahre alte Tochter Tamar am späten Samstagabend nach Hause kam, entdeckte sie das Blutbad. "Das Mädchen hat ihren Vater, ihre Mutter und die Geschwister regelrecht abgeschlachtet gesehen. Sie wird das ein Leben lang mit sich tragen", sagt der Rabbiner von Itamar, Moshe Goldsmith. Die drei überlebenden Geschwister würden jetzt von ihren Großeltern betreut.

"Wir alle spüren den Schmerz. Wir sind Menschen. Wir haben Angst", sagt der Rabbiner. Psychologen betreuten die rund 1.000 Einwohner. Eine von ihnen ist Liat. Sie steht mit zehn weiteren Frauen auf der Straße und hält ihre drei Monate alte Tochter Hodea im Arm. Die 36-Jährige hat vor anderthalb Jahren ihren Glauben gefunden: "Nichts geschieht ohne Gott. Gott hat uns einen Schlag versetzt. Er will, dass wir uns wieder vereinen und die Araber stoppen, die gegen uns kämpfen", sagt sie. Selbst im Tod der Mutter Ruth findet sie noch etwas Tröstliches: "Sie wurde an einem Schabbat geboren und an einem Schabbat getötet. Damit geht sie direkt in den Himmel."

Möglicherweise ein Racheakt

Plötzlich fahren zwei Armeejeeps vor. "Das sind Mitarbeiter der Sicherheit, bitte nicht mehr fotografieren", instruiert Goldsmith. Seit Sonntag läuft eine Großfahndung nach dem oder den Mördern. Die gängige Theorie in Israel ist, dass zwei Palästinenser hinter dem Mord stecken. Das palästinensische Dorf Awarta liegt ganz in der Nähe der Siedlung. Einwohner berichten, dass die israelischen Sicherheitskräfte hier eine Spur verfolgten. Im März vergangenen Jahres habe ein Siedler zwei etwa 20 Jahre alte palästinensische Cousins auf einem Feld erschossen, heißt es. Die Armee habe das später so dargestellt, als ob die beiden versucht hätten, in die Siedlung einzudringen. Tatmotiv könnte Rache sein, sagen Dorfbewohner.

Seit Jahren herrscht böses Blut zwischen den jüdischen Siedlern in Itamar und den palästinensischen Dorfbewohnern. Die Araber nennen die Siedler Radikale und Extremisten, die von ihrem Hügel herunter kommen, Bäume fällen, Ernte stehlen und Land zerstören. "Nur Hass, Mord und Zerstörung kommt von den Leuten da unten", sagt Leah, die Ehefrau des Rabbiners, über ihre palästinensischen Nachbarn.

Abbas: Eine abscheuliche Tat

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat das Verbrechen "unmenschlich, unmoralisch und abscheulich" genannt. Bei den Siedlern stößt er auf taube Ohren. Einige fordern harte Strafmaßnahmen. Im Palästinenserdorf Awarta herrscht Sorge, dass gewaltbereite Siedler das Recht in die eigene Hand nehmen könnten. Rabbiner Goldsmith hält davon nichts, sondern fordert eine Antwort in Form neuer Baugenehmigungen. "Die Terroristen wollen uns vertreiben, und wir wollen bleiben und unser Land aufbauen", sagt er.

Ehefrau Leah pflichtet bei: "Das hier ist das Herz von Israel", beschreibt sie ihre Siedlung. "Wenn du das herausreißt, kann der Körper nicht leben." Dass die Siedlungen nicht legal sind, woran die übergroße Mehrheit der internationalen Gemeinschaft Israel immer wieder erinnert, stört die 47-Jährige gebürtige US-Amerikanerin wenig. "Wir haben ein biblisches Recht auf dieses Land", sagt sie.

dpa