An den Demonstrationen in ganz Deutschland nahmen nach Veranstalterangaben mehr als 110.000 Menschen teil. Insgesamt seien an rund 450 Orten Mahnwachen abgehalten worden, sagte Jochen Stay, Sprecher der Kampagne "ausgestrahlt", am Abend in Hamburg. Stay und seine Mitstreiter hatten seit Samstag nach der Unfall- und Katastrophenserie in japanischen Atomkraftwerden im Internet zu den Protestaktionen aufgerufen. Sei seien selbst von der Resonanz überrascht worden, sagte Stay. "Das ist Protest 2.0."
Vor dem Bundeskanzleramt in Berlin demonstrierten mehrere hundert Menschen gegen die Nutzung der Kernenergie, unter ihnen der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Renate Künast und Jürgen Trittin sowie Linksfraktionschef Gregor Gysi, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und der DGB-Vorsitzende Michael Sommer. Auf Transparenten standen Forderungen wie "Solidarität mit Japan - Ausstieg jetzt" oder "Harrisburg 1979 Tschernobyl 1986 Fukushima 2011 - Wann wird man je verstehen?" Die Demonstranten riefen in Sprechhören "Abschalten".
"Klare Entscheidungen nötig"
In den größeren Städten kamen meist mehrere 100 Menschen zu den Mahnwachen. In Düsseldorf kritisierte NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) Pläne der Bundesregierung als unzureichend, die längeren Laufzeiten für deutsche Atomkraftwerke für drei Monate auszusetzen. "Ich glaube, hier versucht man, Zeit zu schinden. Jetzt wären klare Entscheidungen nötig." Die ältesten Atommeiler müssten sofort abgeschaltet werden. Ähnlich äußerten sich auch andere Politiker von SPD und Grünen.
Die Atomkraftgegner demonstrierten unter anderem vor den deutschen Kernkraftwerken, vor den Hauptsitzen und Informationszentren der Energiewirtschaft, vor Rathäusern und Parlamenten. Für den 26. März wurden weitere große Demonstrationen angekündigt, darunter in Großstädten wie Berlin, Hamburg und Köln.
Patriarch für alternative Energieformen
Auch hohe Kirchenvertreter hatten am Montag eindringlich auf den Ausstieg aus der Atomkraft gedrängt. "Eine Technologie, die Fehler nicht verzeiht, tut uns nicht gut", sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, in Hannover. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, erklärte in Paderborn: "Atomkraft ist keine Energie der Zukunft."
Das Ehrenoberhaupt der orthodoxen Kirchen, Patriarch Bartholomäus I. von Konstantinopel, appellierte an die Regierungen weltweit, ihre Atompolitik zu überdenken. Um die Kernenergie zu ersetzen, sei der verstärkte Ausbau alternativer Formen der Energiegewinnung aus Wind, Wasser und Sonne notwendig, erklärte der Patriarch laut einem Bericht des katholischen Nachrichtendienstes Asianews aus Rom. Bartholomäus wird wegen seines ökologischen Engagments auch der "grüne Patriarch" genannt.
Der EKD-Ratsvorsitzende Schneider (Foto: epd-bild / Hans-Jürgen Vollrath) mahnte mit Blick auf die Atomenergie: "Wir müssen da so schnell wie möglich heraus." Auch die perfekteste Technologie könne Fehler nicht völlig ausschließen. "Wir leben in einer Welt und auf einem Boden, der nicht sicher ist", sagte der Theologe weiter. In Europa könnten andere Ursachen zu einer Reaktorkatastrophe führen, etwa ein Terrorangriff, ein Flugzeugabsturz oder menschliches Versagen. Die Atomenergie habe Dimensionen erreicht, die das Maß des Menschlichen und die Verantwortung des Menschen übersteige.
"Leben auf einem Boden, der nicht sicher ist"
Der Freiburger Erzbischof Zollitsch sagte, Atomkraft könne nur ein Übergang sein. Nötig seien Energieformen, bei denen die Umwelt geschont werde und die ohne Risiken beherrschbar seien, so Zollitsch bei der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz. Auf den Prüfstand gehören nach Auffassung von Zollitsch auch die von der schwarz-gelben Bundesregierung beschlossenen längeren Laufzeiten für Atomkraftwerke. An der Diskussion über zukunftsfähige Energien werde sich auch die katholische Kirche beteiligen, kündigte Zollitsch an.
Die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann sagte in Wien, die Rede von den sicheren Atomkraftwerken sei "einfach Hybris". Gerade die Situation in einem Land wie dem hoch technisierten Japan zeige, dass die Technologiegesellschaft Demut lernen müsse, denn" sie beherrscht nicht alles". Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, verwies auf die Situation in Deutschland. Es reiche nicht, nur über die Laufzeit von Kernkraftwerken zu debattieren. Es sei das Gebot der Stunde, "in der energiepolitischen Debatte alle Alternativen und deren Konsequenzen zu benennen", forderte er.
Der Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Gerhard Wegner, forderte einen "schleunigen Ausstieg" aus der Atomtechnologie. Ein ethischer Grundsatz laute: "Du darfst nur solche Risiken eingehen, für die Du auch haften kannst", sagte er am Montag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Nuklearkatastrophe in Japan zeige deutlich, dass es gegen technisches und menschliches Versagen keine Versicherung gibt.