Deutsche Gemeinde in Tokio: "An dir halten wir uns fest, Gott"
Exodus in Tokio. Zumindest in der Evangelischen Gemeinde Deutscher Sprache in Tokio: Die meisten der rund 200 Mitglieder haben das Weite gesucht. Zu groß ist die Angst vor der nuklearen Katastrophe. Einzig Pfarrerin Elisabeth Hübler-Umemoto hält die Stellung und versorgt ihre wenigen zuhause gebliebenen Schäfchen mit Gebetstexten im Internet.
14.03.2011
Von Anne Kampf

An diesem Sonntag ist der Gottesdienst ausgefallen. Erstens gab es in der evangelischen Kreuzkirche in Tokio weder Strom noch Wasser, zweitens trauten sich die deutschen evangelischen Christen kaum, mit der Bahn anzureisen. Denn die Zugverbindungen im Großraum Tokio seien auf die Hälfte reduziert worden, erklärt die Pfarrerin - und viele hätten Angst, unterwegs von der Nachricht eines GAUs überrascht zu werden. Sie bleiben lieber zu Hause.

Jedenfalls die, für die Tokio "zu Hause" ist, die also schon lange hier leben. Die meisten anderen sind schon geflohen, deutsche Firmen in Japan haben ihre Mitarbeiter ausgeflogen, andere Deutsche suchen Zuflucht bei Verwandten im Süden des Landes, und wer es sich leisten kann, ist nach Malaysia gejettet.

Elisabeth Hübler-Umemoto bleibt. Seit 12 Jahren lebt sie in Tokio, ihr Mann ist Japaner und hat als Hochschullehrer momentan eine Funktion als Krisenmanager. "Für mich ist zu Hause, wo mein Mann ist", erklärt die Pfarrerin. In Deutschland wüsste sie momentan gar nicht recht, wohin. "Und wenn es zum Schlimmsten kommt... Ich meine: Man hat eben das Risiko und damit lebt man ja, dass der Tod eine Möglichkeit ist."

Auch wenn das ein wenig zynisch klingt - Elisabeth Hübler-Umemoto (Foto: privat) drückt mit solchen Sätzen aus, dass sie ihre Hoffnung als Christin und ihren Job als Pfarrerin ernst nimmt. "Ich liebe meine Arbeit", sagt sie. "Das ist hier meine Aufgabe, die lass ich mir von so'ner Bedrohung nicht wegnehmen." Sie predige den Menschen ja nicht umsonst, dass sie auf Gott vertrauen können - und trotzdem: "Wenn es vernünftig ist, suchen wir das Weite."

Arbeitsplatz am Computer und vor dem Fernseher

Weil das Gemeindeleben und auch ihre Arbeit an der Deutschen Schule momentan ausfällt, hat die Pfarrerin viel Zeit, am Computer zu arbeiten (hier zu ihrem Blog). "Ich bin gerade die Informationszentrale für die Gemeinde. Jetzt den Computer zuzuklappen - dazu hätte ich gar keine Ruhe", sagt Elisabth Hübler-Umemoto. Ständig verfolgt sie die Fernsehnachrichten, wartet auf Instruktionen, was im Notfall zu tun ist: "Vielleicht heißt es ja irgendwann, wir sollen drin bleiben und Fenster und Türen schließen", vermutet sie.

Wann immer ein Regierungssprecher im Fernsehen auftritt, versucht Elisabeth Hübler-Umemoto, zwischen seinen Worten versteckte Botschaften herauszuhören: "Ich merke schon, dass vorsichtig formuliert wird", sagt sie. "Man will Panik vermeiden, und das kann ich verstehen. Schließlich wohnen hier im Großraum Tokio 35 Millionen Menschen." Nicht auszudenken, was passiert, wenn hier Panik ausbricht. 

Von den Behörden fühlt die Pfarrerin sich recht gut informiert. In den Fernsehnachrichten werde gezeigt, dass jetzt zwei Reaktorblöcke mit Wasser geflutet worden sind und bei einem dritten die Prozedur gerade begonnen hat. Auch Grafiken von den Anlagen werden gezeigt, "das halte ich schon für verantwortlich", so Elisabeth Hübler-Umemoto.

"Wichtig ist, die Verbindung zu halten"

Ihre Gemeindeglieder - diejenigen, die noch da sind - machen sich offenbar mehr Sorgen. Sie rufen im Pfarrhaus an, zum Beispiel von unterwegs, wenn sie am Bahnsteig stehen, auf den Zug warten und einfach mit der Pfarrerin reden wollen. Das ist ihre Haupt-Aufgabe momentan: Seelsorge per Telefon und Internet. "Wichtig ist, die Verbindung zu halten", erklärt sie. "Die Leute freuen sich, wenn ich anrufe, manche reden dann ziemlich lange."

Für Mittwoch plant Hübler-Umemoto eine Abendandacht. Doch vielleicht wird auch die wieder ausfallen, weil niemand sich traut, das Haus zu verlassen und in einen Zug zu steigen. Wenn die Katastrophe eintritt, wollen die Menschen lieber in den eigenen vier Wänden sein. Doch auch da kann Gemeinschaft stattfinden: Die Texte vom Sonntagsgottesdienst hat Elisabth Hübler-Umemoto kurzerhand auf die Internetseite der Gemeinde gestellt, damit die Familien zuhause eine Andacht halten können.

Das Fürbittengebet aus Tokio

"Gott, du hast die Welt geschaffen. Dafür waren wir immer dankbar. Darauf haben wir immer vertraut, dass wir ein Teil deiner Schöpfung sind, von dir gewollt und zu Gutem bestimmt. Jetzt haben wir erlebt, dass deine Schöpfung auch ein anderes Gesicht hat. Wir haben erlebt, wie klein wir Menschen sind. Manche von uns haben Stunden der Angst erlebt, Stunden der Unsicherheit und Sorge. Die Menschen in der Erdbebenregion haben ihr Leben verloren, ihre Angehörigen, ihre Existenz. Und der Schrecken ist noch nicht vorbei. Das Kernkraftwerk in Fukushima ist noch nicht sicher. Dennoch hoffen wir auf dich, Gott, halten an dir fest und bitten dich deine Gegenwart in all diesen schlimmen Erfahrungen.

Wir bitten für die Familien, die nicht wissen, ob ihre Angehörigen noch leben.
Wir bitten für die Verstorbenen.
Wir bitten für die Menschen in den Notunterkünften.
Wir bitten für die Menschen, die vor dem Nichts stehen.
Wir bitten für die vielen Helfer, die ihr Leben für andere aufs Spiel setzen.

An dir halten wir uns fest, Gott, gerade, wenn uns der Boden unter den Füßen wegrutscht.
Auf dich hoffen wir, in allem, was wir erleben, ertragen, durchmachen müssen.
Begleite du uns, dass wir nicht verzweifeln.
Hilf uns, aufeinander zu achten, richtige Entscheidungen zu treffen und zu helfen, wo wir können. Amen."