Atomdebatte: Merkel lehnt sofortige Stilllegung ab
Die dramatische Lage in dem nach Erdbeben und Tsunami schwer beschädigten japanischen Kernkraftwerk Fukushima hat die Kontroverse um die Atomkraft in Deutschland neu entfacht. Ein sofortiger Atomausstieg seht für die Kanzlerin aber nicht zur Debatte.

Vor dem Hintergrund der dramatischen Ereignisse in dem japanischen Atomkraftwerk Fukushima will Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Bundesländern über die Sicherheit der deutschen Meiler sprechen. Man müsse aus den Erkenntnissen über die japanische Katastrophe lernen, sagte sie am Sonntagabend in einem ARD-"Brennpunkt". Einen sofortigen Atom-Ausstieg lehnt Merkel aber ab. SPD, Grüne und Linke fordern eine grundlegende Kehrtwende in der Atompolitik.

Sie wolle die Ministerpräsidenten der Länder mit AKW-Standorten voraussichtlich für Dienstag zum Gespräch über die Sicherheit der Anlagen bitten, kündigte Merkel an. Den besorgten Menschen wolle sie sagen: "Die deutschen Kernkraftwerke sind nach Maßgabe dessen, was wir wissen, sicher." Andernfalls müsste sie wegen ihres Amtseides die Kraftwerke sofort abschalten lassen.

Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) bezeichnete die Störfälle nach dem Erdbeben in Japan als "Weltveränderung". Es sei ein "nationales, europäisches, globales Thema, Sicherheit neu zu bewerten", sagte er in der ARD-Sendung "Anne Will". Zugleich dürfe es aber nicht zu einer "parteipolitischen Kapitalisierung" der Katastrophe kommen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel verlangte von der Bundesregierung drei Konsequenzen aus der Atomkatastrophe: die Abschaltung der sieben Altreaktoren, die Rücknahme der Verlängerung der Reaktorlaufzeiten und die Erhöhung der Prüfmaßstäbe. Im ZDF warf Gabriel der Bundesregierung vor, "die Prüfmaßstäbe verschlechtert" zu haben. Merkel erklärte dagegen, die Sicherheitsstandards seien ständig fortentwickelt worden. Die Probleme müssten auch mit den europäischen Partnern erörtert werden, zumal einige Länder neue AKW planten.

Trittin sieht geplante Akw-Sicherheitschecks skeptisch

Der Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin hält die von der Bundeskanzlerin Angela Merkel angekündigten Sicherheitschecks für Atomkraftwerke für Augenwischerei. "Eine neue technische Überprüfung ist doch nur der Versuch davon abzulenken, dass Frau Merkel im Herbst der Entscheidungen 2010 eine katastrophale Fehlentscheidung gefällt hat", sagte Trittin der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (Montag).

Nach dem rot-grünen Gesetz zum Atomausstieg würden die Altreaktoren Neckarwestheim, Biblis A, Philippsburg I, Brunsbüttel und Isar 1 im Laufe dieses Jahres abgeschaltet werden. Die schwarz-gelbe Bundesregierung habe die Laufzeiten aber verlängert. Trittin warf der Regierung eine "Politik ohne Rücksicht auf Verluste" vor. Die Katastrophe in Japan werde aber auch die deutsche Debatte beeinflussen. "Was dort schief lief, kann auch in Deutschland schief gehen", sagte er. Für eine Kernschmelze brauche es nicht unbedingt ein Erdbeben, entscheidend sei der Ausfall des Kühlsystems.

Für den Fall einer Regierungsübernahme nach den Wahlen in Baden-Württemberg kündigte SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid die Abschaltung der Atomreaktoren Neckarwestheim 1 und Philippsburg an. "Ich werde in Baden-Württemberg alles in Bewegung setzen, die beiden ältesten Meiler in unserem Land bis Jahresende stillzulegen", sagte er der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Montag).

Linke-Parteichef Klaus Ernst plädierte für ein Verbot der Nutzung der Kernkraft zur Energiegewinnung. "Es muss ein für allemal gesetzlich festgelegt werden, dass die Nutzung der Kernkraft zur Stromgewinnung und der Export von Atomanlagen verboten ist", sagte er dem "Hamburger Abendblatt" (Montag). "Atomkraftwerke sind tickende Zeitbomben. Wir wollen den sofortigen Einstieg in den Ausstieg."

Unions-Fraktionschef Volker Kauder lehnt eine neue Grundsatzdebatte zur Kernenergie ab. "Wir haben bereits festgelegt, dass es sich dabei um eine Auslauftechnologie handelt, die eine Brücke in die Zeiten ist, in denen wir Strom komplett aus erneuerbaren Energiequellen gewinnen werden", sagte er dem "Hamburger Abendblatt" (Montag). Man müsse jetzt den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv vorantreiben, um dieses Ziel so schnell wie möglich zu erreichen.

Atomlobby kämpft um ihre Reaktoren

Die Atomlobby kämpft um ihre Reaktoren. "Jeder deutsche Reaktor ist auf jeden Fall besser ausgerüstet als der in Fukushima", sagte der Präsident des Deutschen Atomforums, Ralf Güldner, dem "Handelsblatt" (Montag). An der Verlängerung der Laufzeiten solle nicht gerüttelt werden. Die Lage in Japan sei einmalig. "Eine Verkettung solcher außergewöhnlichen Naturkatastrophen ist für Deutschland nicht vorstellbar."

Auch für den Chef des Energiekonzerns RWE, Jürgen Großmann, sind die Störfälle in Japan nicht mit der Situation in Deutschland vergleichbar. "In Japan war nicht das Erdbeben der Hauptschadensgrund, sondern der Tsunami - und so etwas gibt in Deutschland nicht", sagte er der "Bild"-Zeitung. Trotzdem müssten auch auch die Kraftwerke hierzulande sogar gegen äußerst unwahrscheinliche Ereignisse wie schwere Erdbeben ausgelegt sein.

dpa