Es ist Zeit zum Abendgebet: Einige orthodoxe Christen erheben sich von ihren Stühlen und stehen schweigend mit geschlossenen Auge da, während in einer Ecke der Moschee der Vorbeter Koranverse rezitiert. Ein älterer Besucher der Moschee-Gemeinde geht über den weichen Teppich zu einem Bücherbord, greift zum Koran und schlägt das kunstvoll verzierte Buch auf. "So groß habe ich mir das gar nicht vorgestellt", sagt eine Frau zu ihrem Ehemann. "Guck mal, auf dem Thron da sitzt freitags der Imam", erwidert dieser. An diesem Abend sind Christen zu Gast in der Abu-Bakr-Moschee in Frankfurt-Hausen. Organisiert wurde das Zusammenkommen von einem christlich-islamischen Arbeitskreis. Seit rund fünf Jahren sind die Glaubensgemeinschaften miteinander im Dialog.
Heimat: Deutschland – Konfession: muslimisch
Die Muslime haben das Gebet an diesem Abend eigens um eine Stunde verschoben. Vor und nach dem Lobpreis Allahs berichten sie ihren Gästen darüber, inwieweit sie integriert sind – und wo es Diskriminierungen im Alltag gibt. Auf dem Podium sitzen vier muslimische Männer und zwei muslimische Frauen. Eine von ihnen ist Asmaa El Idrissi. Die 28-jährige gebürtige Frankfurterin hat ihr Abitur an einer Gesamtschule in ihrer Heimatstadt absolviert und dann das Studium der Rechtswissenschaften begonnen. Inzwischen ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Exzellenz-Cluster "Normative Ordnung" der Goethe-Universität in Frankfurt. Sie promoviert im Verfassungsrecht, genauer: im Religionsverfassungsrecht.
Deutschland, das Land in dem sie geboren und aufgewachsen ist, sei ihre Heimat. "Ich war zu keinem Zeitpunkt woanders", sagt El Idrissi. "Ich war immer hier, und ich werde hier sein." Doch manchmal werde sie behandelt wie eine Fremde im eigenem Lande. Seit der Debatte um die Thesen von Thilo Sarrazin sei die Atmosphäre "nicht mehr sehr gut", sagt die junge Frau mit ironischem Unterton. Sie nehme solche Aussagen im Alltag jedoch auf die leichte Schulter. "Das geht auch wieder vorüber."
Ihr Glaube ist El Idrissi sehr wichtig. Religion werde zusehends wichtiger – sogar noch wichtiger als die Nationalität, sagt sie. Denn das Glaubensbekenntnis biete Kindern von Einwanderern die Möglichkeit zur Identifikation. "Für die in der dritten Generation geborenen kommt es zu einer Entnationalisierung." In der Religion gebe es unter anderem feministische Strömungen, die den Glauben revitalisierten, sagt die junge Muslimin. Die spirituelle Dimension des Glaubens trete wieder stärker in den Vordergrund, Traditionen stattdessen in den Hintergrund.
Im Verlauf ihres zweiten Semesters hat sich die Studentin entschieden, ein Kopftuch zu tragen. "Ich bin wohl die einzige wissenschaftliche Mitarbeiterin, die eines trägt", sagt sie. Ihr Professor habe damit nie ein Problem gehabt. Er begreife, warum sie das Kopftuch trage. "Das ist das I-Tüpfelchen der Emanzipation." Insgesamt wünscht sich El Idrissi, dass man öfter den Menschen in ihr sehen würde - und nicht das Kopftuch an ihr.
Zweifel und Verhältnisfragen
Neben den Beziehungen zwischen den Religionen geht es in der Moschee an diesem Abend auch um das Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften. Die angehende Juristin El Idrissi sieht eine Widersprüchlichkeit im Umgang zwischen Kirche und Staat in Deutschland. Das Bundesverfassungsgericht habe zwar die Dogmatik der "fördernden Neutralität" entwickelt, diese beziehe sich jedoch nur auf die christlichen Kirchen. Muslimische Gemeinden blieben außen vor. Auch wenn man inzwischen nicht mehr nur vom Staatskirchenrecht, sondern auch vom Religionsverfassungsrecht spreche, habe sich in der Praxis wenig geändert, sagt El Idrissi. "In Deutschland lebt eine pluralistische, multireligiöse Gesellschaft." Dafür sei die überkommene Struktur unangebracht. Sie erkennt zwar an, dass diese historisch gewachsen ist, als Juristin sehe sie aber die Ungerechtigkeit.
Auch die aktuelle politische Stimmung ist ihr befremdlich. Die Äußerungen des neuen Bundesinnenminster Friedrich hätten sie traurig gemacht. Er unterstrich seinen Widerspruch zu der Aussage von Bundespräsident Christian Wulff, dass der Islam ein Teil von Deutschland sei. Der Innenminister solle für Recht, Sicherheit und Ordnung stehen. Das Amt müsse mit Sensibilität ausgeübt werden, mahnt die Muslimin.
Ihr Vater, Mohamed El Idrissi, ist 1970 aus Marokko nach Deutschland gekommen. Auch er berichtet den Besuchern der Moschee von seinem Leben. Als er eingereist sei, dachte er, er bleibe vielleicht ein oder zwei Jahre. "Inzwischen sind es über 40 und ich bin kinderreich", sagt der Moslem. Vier seiner fünf Kinder seien Akademiker. Er selbst ist Porzellanrestaurator; sein jüngster Sohn lernt bei ihm in der eigenen Werkstatt. Dieser Beruf sei sehr selten, nur fünf oder sechs Betriebe gebe es in ganz Deutschland. "Ich habe schon viele alte Vasen für die Stadt repariert", sagt er schmunzelnd. Der Familie sei es eben wichtig, sich in der Gesellschaft einzubringen.
Seit mehr als 40 Jahren in Frankfurt
Die Abu-Bakr-Moschee wurde 1966 von Studenten gegründet, sagt Nourdin Akil (Bild unten, links), der stellvertretende Vorsitzende der Moscheegemeinde. 100 Familien seien Mitglied im Verein. 1996 haben die Muslime ein altes Autohaus gekauft und zur Moschee umgebaut. 2001 entstand auf diesem Grundstück der heutige Bau mit kleinem Minarett und Kupel. Der Porzellan-Manufakteur El Idrissi hat das Gebäude künsterlisch ausgestaltet. Zum Freitagsgebet kommen jeweils rund 500 Gläubige zusammen. 60 Prozent der Muslime hätten marrokanische Wurzeln, berichtet Akil.
Auf dem Podium sitzt an diesem Abend auch ein Konvertit. Der Mann ist nach Brüchen in seiner Biographie zum Islam übergetreten. Die christlichen Besucher interessiert, wie es wäre, wenn ein Moslem vom Glauben abfalle und Christ werden wolle. Immer wieder fragen sie danach. Akil sagt, der Koran regele nicht, was dann passiere. Es gebe Traditionen, diese müssten interpretiert werden. In den einzelnen Staaten gebe es unterschiedliche Gesetze.
Pfarrer Holger Wilhelm (im Bild, rechts) von der evangelischen Kirchengemeinde in Frankfurt-Hausen sagt, die Besucher wollten freilich gerne von den muslimischen Vertretern hören, dass der Konvertit nicht umgebracht werde. "Die Moslems wissen aber oftmals gar nicht, was die Leute wissen wollen, wenn sie diese Fragen stellen." Er meldet sich zu Wort, hebt hervor, dass die Fragen durchaus wichtig sind, aber auch schwierig, und leitet dann wieder zu praktischen Fragen der Integration über.
Kennenlernen und Vertrauen lernen
Der Abend stand unter dem Motto "In Frankfurt angekommen". Wilhelm beschreibt die Veranstaltungsreihe als ein Angebot, sich näher kennenzulernen: "Die Grundidee ist, Menschen einzuladen über die Schwellen zu gehen." Das sei oftmals gar nicht so einfach. Jedes Jahr gebe es am Tag der Deutschen Einheit zwar den "Tag der offenen Moschee", aber so mancher traue es sich nicht alleine ein muslimisches Gebetshaus zu besuchen. "Wenn das eine christliche Gemeinde organisiert, dann kommen doch einige mehr mit."
In den vergangenen Jahre habe sich die gegenseitige Wahrnehmung der Religionen durch den christlich-islamischen Arbeitskreis im Stadtteil Hausen erhöht. Alle zwei bis drei Monate treffen sich Vertreter der Gemeinden, sagt Wilhelm. Der Kreis ist bewusst nicht offen für jedermann. Zwischen den Delegierten könne so Vertrauen entstehen. Auf christlicher Seite sind neben der evangelischen und der römisch-katholischen Kirche auch Repräsentanten der russisch-orthodoxen Gemeinde vertreten.
Vor einiger Zeit habe man schon einmal eine Vortragsreihe zum Thema Islam veranstaltet, berichtet Wilhelm. Redundanz schade nicht, das Kennenlernen und einander Vertrauen sei ein beständiger Prozess. Der beschlossene Bau einer dritten Moschee im Stadtviertel hat das eindrucksvoll belegt. Gegen das Gebetshaus gibt es Widerstand - auch weil es in unmittelbarer Nähe zur russisch-orthodoxen Kirche errichtet werden soll. "Es muss noch viel geredet werden", sagt der evangelische Pfarrer. Über die Offenheit in der Abu-Bakr-Moschee freut er sich.
Thomas Paterjey arbeitet als freier Journalist in Frankfurt und Hannover