Der libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi soll unverzüglich zurücktreten: In dieser Frage gebe es einen Konsens der EU-Chefs, sagten Diplomaten am Freitag am Rande des EU-Gipfels in der belgischen Hauptstadt. Dieser Aufruf ist auch in dem Entwurf für die Abschlusserklärung des Gipfels enthalten, in der es heißt: "Oberst Gaddafi muss seine Macht sofort aufgeben."
Schwerer Streit über Militäraktion
Das Vorgehen gegen den Diktator sorgt aber auch für schwere Spannungen in der EU. Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy fordert "gezielte" Militäraktionen, um das Gaddafi-Regime in die Knie zu zwingen. Frankreich und Großbritannien seien unter bestimmten Bedingungen dazu bereit. Für seinen unabgesprochenen Vorstoß erntete Sarkozy Unmut und Kritik. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) grenzte sich klar von der Forderung ab, ohne Sarkozy oder Frankreich beim Namen zu nennen. Sie warnte vor einer Spaltung der Union: "Teile und herrsche würde nur Herrn Gaddafi in die Hände spielen. Und genau das muss vermieden werden", sagte Merkel.
Noch deutlicher wurde Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite: "Ohne Zustimmung oder Resolution der UN werden die meisten Staaten keine Erlaubnis für solch eine Entscheidung geben." Dem Vernehmen nach fuhr außer Sarkozy nur der britische Premier David Cameron beim Gipfel einen "Kriegskurs" gegenüber Tripolis. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte am Rande eines Treffen der Allianz zu der Sarkozy-Forderung: "Diese Idee ist bei unseren Gesprächen nicht auf den Tisch gekommen."
Italien verteidigte Regime bis zuletzt
Im Gespräch waren bei der EU auch verschärfte Sanktionen. Die EU hat bereits die Vermögenswerte von fünf libyschen Finanzinstituten eingefroren. Zudem gibt es schon länger EU-Sanktionen gegen den Gaddafi-Clan wie Einreiseverbote und Kontensperrungen. Dass ein amtierender Staatschef zur Machtaufgabe aufgefordert wird, ist in der Gemeinschaft der 27 EU-Staaten sehr selten. Die EU-Mitgliedsstaaten hatten lange um eine einheitliche Position gegenüber Libyen gerungen. Insbesondere Italien sieht Libyen als wichtigen Handelspartner und hatte das Gaddafi-Regime lange verteidigt. Regierungschef Silvio Berlusconi nannte Gaddafi über Jahre hinweg seinen persönlichen Freund.
Dass ein amtierender Staatschef zur Machtaufgabe aufgefordert wird, ist in der Gemeinschaft der 27 EU-Staaten sehr selten. Die EU-Mitgliedsstaaten hatten lange um eine einheitliche Position gegenüber Libyen gerungen. Insbesondere Italien sieht Libyen als wichtigen Handelspartner und hatte das Gaddafi-Regime noch geraume Zeit verteidigt. Nach Gaddafis Abgang soll Libyen nach dem Willen der EU-Chefs schnell einen geordneten Übergang zur Demokratie einleiten. Für diesen Fall stellt die EU dem Land ihre Unterstützung in Aussicht, darunter auch Wirtschaftshilfe.
Zuvor hatte der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy als letztes Mittel gegen die Gewalttaten des Gaddafi-Regimes "gezielte Aktionen" gefordert. Frankreich und Großbritannien seien unter bestimmten Bedingungen dazu bereit. Militäraktionen kämen allerdings nur "rein defensiv" in Frage, beispielsweise, wenn Gaddafi chemische Waffen gegen sein Volk einsetzen sollte. Voraussetzung sei zudem die Zustimmung der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga.
Französische Pläne für Luftschläge
Andere EU-Staaten wie Deutschland stehen einem militärischen Eingreifen allerdings äußerst kritisch gegenüber. Die Angst ist groß, dass in der arabischen Welt neuer Zorn gegen den Westen hochkochen könnte. Über mögliche Pläne Frankreichs für Luftschläge gegen das Gaddafi-Regime war bereits am Donnerstag spekuliert worden. Sarkozy hatte zuvor angekündigt, dass Frankreich die Opposition in Bengasi als alleinige und rechtmäßige Vertretung des libyschen Volkes anerkenne.
Strikt gegen ein militärisches Eingreifen hat sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ausgesprochen. "Das halte ich aus völkerrechtlichen und friedensethischen Gründen nicht für gerechtfertigt", sagte der EKD-Friedensbeauftragte Renke Brahms am Freitag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zwar seien Gaddafis Angriffe auf die eigene Bevölkerung menschenverachtend und auf das Schärfste zu verurteilen. "Aber ein militärisches Eingreifen hätte unabsehbare Folgen, wie wir aus vielen Situationen der Vergangenheit wissen."
EKD für Aufnahme von Flüchtlingen
Das gelte gerade in einem afrikanisch-muslimischen Land, mahnte Brahms (Foto: epd-bild). Die Situation in Libyen sei zudem unübersichtlich. Auch die Einrichtung einer Flugverbotszone wertet Brahms als militärischen Schritt. "Denn ohne Zerstörung der Stellungen oder der Flugzeuge Gaddafis ist sie nicht zu kontrollieren." Ein Nein zu militärischen Aktionen bedeutet für Brahms keineswegs, dass Europa untätig bleiben kann. "Es geht darum, die Menschen in Libyen, die einen Wandel wollen, humanitär und politisch zu unterstützen." Flüchtlinge, die um Leib und Leben fürchteten, müssten aufgenommen werden.
Brahms spricht sich zudem dafür aus, politische Verhandlungen zu unterstützen - "notfalls auch mit Gaddafi". Ziele müssten dabei ein Wandel in dem Land und der Schutz der Bevölkerung sein. Es sei nicht einzusehen, dass die Europäer mit dem libyschen Herrscher über Jahre Kontakte pflegten, nun aber jede Verhandlung ablehnten. "Dabei spielen die mal wieder unabgestimmte europäische Politik und die einseitigen Schritte einiger Länder Gaddafi in die Hände."
"Das Werk von Al-Kaida"
In Libyen selbst gelang es den Truppen Gaddafis unterdessen, weiter Boden gutzumachen. Nach Medienberichten nahmen sie die Stadt Al-Sawija im Westen sowie den östlichen Ölhafen Ras Lanuf wieder ein. Den Eroberungen gingen tagelange, erbitterte Kämpfe mit den Rebellen voraus. Über Opferzahlen lagen zunächst keine verlässlichen Angaben vor. Vor allem in Al-Sawija - einer Stadt 50 Kilometer westlich von Tripolis - wurden viele Tote und Verletzte befürchtet.
Mit den neuen EU-Sanktionen wurde das Vermögen von fünf libyschen Finanzinstituten eingefroren. Außerdem wurde der österreichische Staatsbürger Mustafa Zarti (40) auf eine Liste von bislang 26 libyschen Führungspersonen gesetzt - seine Konten sind damit gesperrt. Da der als "Strohmann" Gaddafis geltende Zarti einen EU-Pass hat, darf er sich allerdings weiter in der EU aufhalten. Deutschland hatte bereits zuvor die Konten der libyschen Notenbank und des libyschen Staatsfonds LIA bei deutschen Banken gesperrt.
Gaddafis Sohn Saif al-Islam al-Gaddaf bezeichnete den Aufstand in seinem Heimatland als Werk der Terrorbewegung Al-Kaida. "Das war von allem Anfang an ein militärisches Komplott", sagte er in Tripolis. Die Führer der Rebellen seien ehemalige Häftlinge des US-Gefangenenlagers Guantánamo. Auch sein Vater hatte die Rebellen schon als Handlanger von Al-Kaida beschimpft.