Die Kölner Medizinethikerin Christiane Woopen spricht für die Gruppe von 13 Mitgliedern und damit die Hälfte des Deutschen Ethikrates, die für eine streng begrenzte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik plädieren. Allerdings gibt es selbst bei den Befürwortern starke Vorbehalte gegenüber dem seit 1989 erstmals angewandten Diagnose-Verfahren. "Ich glaube, es gibt in der Präimplantationsdiagnostik keine Lösung, die moralisch einwandfrei ist, weil es immer die Abgrenzung zwischen zwei Übeln ist: Die Zurücksetzung des Rechts auf Fortpflanzung der Eltern, das ihnen durch ein PID-Verbot genommen würde, und den Schutzansprüchen des Embryos auf der anderen Seite", sagt Woopen.
Ähnlich dem Gesetzentwurf, der aus der Parlamentariergruppe um die FDP-Politikerin Ulrike Flach und CDU-Wirtschaftsstaatssekretär Peter Hintze kommt, soll die PID künftig an wenigen streng limitierten Kliniken in Deutschland angeboten werden, damit Paare dafür nicht mehr ins Ausland fahren müssen. Ausgeschlossen werden soll die Methode aber zur Feststellung der Augenfarbe oder des Geschlechts. So genannte "Designerbabys" darf es auch nach Vorstellungen der PID-Befürworter künftig nicht geben.
Fehlgeburten vermeiden
Die Produktion so genannter "Rettungsgeschwister", also von künstlich erzeugten Kindern als eine Art biologisches Ersatzteillager für bereits lebende Familienmitglieder, wird strikt abgelehnt. Zwar könne es kein gesetzlich verbrieftes Recht auf ein Kind, schon gar nicht auf ein gesundes Kind geben, doch gelte es die Interessen und Konflikte potentieller Eltern ernst zu nehmen. Die Verantwortung der Eltern könne sich eben auch darin zeigen, dass Eltern die Geburt eines schwer kranken Kindes vermeiden wollen, und das könne der Gesetzgeber den künftigen Vätern und Müttern nicht verweigern. PID soll also der Vermeidung erblich bedingter Fehlgeburten dienen.
"Ein Prozent aller Paare erleben wiederholte Fehlgeburten. Das sind zwei und mehr Fehlgeburten vor 24 Schwangerschaftswochen hintereinander. Fünf Prozent dieser ein Prozent haben tatsächlich zugrundeliegende chromosomale Störungen, die restlichen 95% erleben wiederholte Fehlgeburten aus unklaren oder nicht chromosomalen Ursachen. Bei diesen wenigen mit chromosomalen Störungen soll PID natürlich erlaubt sein. Bei den anderen soll auch hier eine PID möglich sein, aber nur im Rahmen klinischer Studien", meint Medizinerin Woopen.
Die Mühen der Reproduktionsmedizin
Doch darf man sich keinen Illusionen hingeben, als sei PID und die gesamte In-Vitro-Medizin ein problem- und risikofreies Allheilmittel für kinderlose Paare. Neben den ausführlichen Voten pro und contra PID beschreibt die aktuelle Stellungnahme des Deutschen Ethikrates in einem einführenden Teil minutiös die Mühen der Reproduktionsmedizin:
Für die Gewinnung einer höheren Zahl von reifen Eizellen muss die Frau sich zunächst einer hormonellen Stimulations-Behandlung unterziehen. Anschließend werden die Eizellen zumeist unter Narkose aus den Follikeln (Eibläschen) des Eierstocks abgesaugt. Sowohl Hormonbehandlung als auch Eizellentnahme sind mit Risiken für die Frau verbunden. Zu den Komplikationen gehören mögliche Verletzungen, Blutungen und Infektionen.
Im Jahr 2009 wurde in Deutschland eine Stimulation zur Eizellentnahme in 54.239 Fällen eingeleitet; in 50.993 Fällen wurden reife Follikel punktiert und Eizellen entnommen. Das heißt, in 3.246 Fällen war die Stimulation entweder erfolglos oder es kam zu Komplikationen während der hormonellen Behandlung, die einen Abbruch der Behandlung erforderlich machten. In 47.379 Fällen war die Befruchtung erfolgreich, das heißt es entstanden Embryonen, deren Transfer in 45.671 Fällen erfolgte. Daraus entstanden 13.175 klinische Schwangerschaften (28,8 %).
Risiko Mehrlingsschwangerschaft
Die Geburtenrate pro Embryotransfer war geringer, sie lag bei lediglich ca. 19 Prozent. Dies ist dadurch bedingt, dass es in einer Reihe von Fällen auch nach der Etablierung einer klinischen Schwangerschaft zu deren Verlust kommt. Sowohl für die Frauen als auch für die durch künstliche Befruchtung geborenen Kinder existieren Risiken, die bei der Anwendung der PID ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Ein besonderes Problem stellen die dabei vermehrt auftauchenden Mehrlingsschwangerschaften dar.
Zu den Risiken einer Zwillingsschwangerschaft für Frauen gehören Bluthochdruck (ca. 2,5-fache Erhöhung gegenüber einer Einlingsschwangerschaft), Schwangerschaftsvergiftung (ca. 2,5-fach), postpartale Nachblutung (ca. 2-fach), Kaiserschnitt (ca. 3-fach), intensivmedizinische Betreuung (ca. 15-fach) und nachgeburtliche Depression (ca. 3-fach). Zu den Risiken für die Kinder gehören Frühgeburtlichkeit (< 37. Woche, ca. 10-fach), niedriges Geburtsgewicht (< 2.500 g, ca. 7- bis 10-fach), Zerebralparese (3- bis 10-fach), Atemnotsyndrom des Neugeborenen (5- bis 7-fach), Sepsis (3-fach) sowie eine bleibende, schwere Behinderung (1,5- bis 2-fach).
Embryonen "auswählen" oder "verwerfen"?
Doch auch wenn man all diese zusätzlichen Risiken auf sich nehmen will, haben die Gegner der PID weitere gewichtige Argumente zusammengetragen. Altbischof Wolfgang Huber spricht für die fast gleich große Fraktion im Deutschen Ethikrat, die PID ohne Wenn und Aber ablehnt. Er weist auf die besondere Fürsorge-Pflicht sowohl der Eltern als auch der Mediziner gegenüber den Embryonen hin. "Mit der PID verbindet sich ein selektiver Blick, der darauf zielt, unter den in vitro hergestellten Embryonen die einen auszuwählen und die anderen zu verwerfen", mahnt Huber.
Bislang galt nach dem Embryonenschutzgesetz die so genannte "Dreier-Regel". Das heißt, für die künstliche Befruchtung dürfen jeweils nur drei Embryonen pro Zyklus in vitro hergestellt werden. Bei der PID werden in der Regel deutlich mehr Embryonen benötigt. Analog zum Gesetzentwurf aus der Parlamentariergruppe um Unionsfraktionschef Volker Kauder und der grünen Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt warnt auch die Expertengruppe um Wolfgang Huber im Deutschen Ethikrat davor, dass die PID den Schutz der menschlichen Würde gefährdet.
Druck auf Eltern durch Überschuss-Informationen
"Bei den untersuchten Embryonen werden sie Resultate erbringen, nach denen gar nicht gefragt wurde. Diese so genannten Überschuss-Informationen werden eine Auswahl von Embryonen auch aus anderen als eng begrenzten Gründen zur Folge haben. Damit würde sich der Druck auf genetisch belastete Eltern erhöhen, sich einer PID zu unterziehen. Menschen mit genetisch bedingten Behinderungen würden sich durch eine solche Entwicklung tief in Frage gestellt sehen", sagt Huber.
Denn schon heute wird PID in anderen Ländern dazu genutzt, um Embryonen und damit Menschen auch bei nicht tödlichen Krankheitsbildern auszusortieren, zum Beispiel bei der genetisch bedingten Stoffwechselkrankheit Gaucher (Typ 1). Sie kann sehr unterschiedliche Krankheitsverläufe haben, ist aber nicht lebensbedrohlich. Betroffene müssen allerdings ihr Leben lang Medikamente einnehmen, die im Einzelfall bis zu 600.000 Euro jährlich kosten können. In Israel wurde die PID bereits zwecks Selektion potentieller Träger dieser Krankheit durchgeführt.
PID könnte sich finanziell lohnen
Allmählich scheint ein lukrativer Diagnose-Markt, das so genannte Präimplantations-Screening zu entstehen. Vor allem in den angelsächsischen Ländern wird die Debatte über die Behandlungskosten von als vermeidbar deklarierten Erbkrankheiten vergleichsweise offen geführt. So wurde beispielsweise in den USA anhand von Berechnungen die These vertreten, dass sich die Anwendung der PID bei Paaren, die aufgrund einer genetischen Veranlagung für die Krankheit Mukoviszidose betroffene Kinder zeugen könnten, schon in wenigen Jahren finanziell lohnen würde.
Dabei zeigt gerade diese Krankheit, dass die Mediziner nicht hellsehen können. Die Ausprägung der entsprechenden genetischen Veranlagung reicht von mild und sehr gut behandelbar, die mit keiner reduzierten Lebenserwartung verbunden ist, bis zur schweren Form, die verschiedene Organsysteme umfasst und zu einer deutlich verringerten Lebenserwartung führt. Der Verlauf lässt sich in den meisten Fällen nicht aus der genetischen Konstellation vorhersagen.
Die Rechtsanwältin Ulrike Riedel, die auch zu den Kritikern der PID im Deutschen Ethikrat zählt, befürchtet, dass die Zulassung der neuen Diagnosemethode einen medizinischen Dammbruch auslösen könnte. Die Frage ist, was dank PID mit den "Überschuss-Informationen" passieren soll. "Man stelle sich ein Paar vor, das ihre Embryonen auf Mukoviszidose hat testen lassen. Da erfährt der Arzt durch den Test, dass das Kind eine Trisomie 21 hat. Das wird sehr schwierig zu regeln sein, dass der Arzt das nicht weiter geben darf", befürchtet sie. Denn dahinter stehe auch immer die Frage der Haftbarmachung.
Ärzte können sich auch irren
Relevant ist dabei ein Urteil von 1993. Der Bundesgerichthof verurteilte damals eine Universitätsklinik und den leitenden Arzt der dortigen Abteilung für klinische Genetik zur Zahlung des vollen Unterhaltsbedarfs für ein schwerbehindert geborenes Kind. Die Eltern einer schwerbehinderten Tochter hatten sich von dem Arzt genetisch beraten lassen, weil sie vor dem Entschluss zu einem weiteren Kind eine erblich bedingte Krankheit ausschließen wollten.
Der Arzt teilte nach der Erhebung des Befundes mit, dass eine vererbbare Störung unwahrscheinlich sei. Die daraufhin gezeugte Tochter wurde mit der gleichen Behinderung wie das erste Kind geboren. Klinik und Arzt wurden verurteilt, weil die Beratung als fehlerhaft angesehen worden war und die Eltern vorgetragen hatten, sie hätten kein Kind gezeugt, wenn sie von der erblichen Belastung gewusst hätten. Auch nach Durchführung einer PID könnten Paare darauf bestehen, über die genetische Disposition der vorliegenden Embryonen umfassend aufgeklärt zu werden.
Pro- und Contra-Argumente zur PID sind gewichtig. Der deutsche Ethikrat hat sie in seiner gut 100 Seiten starken Stellungnahme ausführlich dargestellt. Nun ist es an den Parlamentariern im deutschen Bundestag, ihre je eigene Gewissensentscheidung zur Präimplantationsdiagnostik zu treffen. Aber die Lektüre sei an dieser Stelle auch interessierten Laien und Bürgern dringend empfohlen.
Thomas Klatt ist freier Journalist in Berlin.