Gaddafi verliert Städte, Nato sammelt Kräfte auf Kreta
Die Lage in dem von bürgerkriegsähnlichen Kämpfen erschütterten Libyen ist unübersichtlich. Staatschef Gaddafi versucht mit aller Macht, von Aufständischen gehaltene Städte zurückzuerobern - je näher an Tripolis sie liegen, desto heftiger die Kämpfe.

In Libyen liefern sich Truppen von Staatschef Muammar al-Gaddafi und Aufständische weiter schwere Kämpfe. Allein in der Stadt Al-Sawija sollen nach Berichten des arabischen Senders Al-Dschasira am Freitag mindestens 30 Menschen ums Leben gekommen sein. Die Lage war unübersichtlich, beide Seiten gaben an, die Stadt rund 50 Kilometer westlich von Tripolis zu kontrollieren.

Weitere Gefechte wurden auch aus dem weitgehend von Aufständischen kontrollierten Osten des Landes gemeldet, darunter auch aus der Hafenstadt Ras Lanuf, wo es Tote gegeben haben soll. Die internationale Gemeinschaft versucht derweil, tausende aus Libyen geflüchtete Ausländer in ihre Heimatstaaten zu bringen.

Bei Explosionen in einem Munitionsdepot in der Aufständischen-Hochburg Bengasi im Osten Libyens kamen Berichten zufolge am Abend mindestens zwölf Menschen ums Leben, zehn weitere wurden verletzt. Die Explosionsursache war zunächst unklar. Krankenhausärzte sagten laut Al-Dschasira, Aufständische hätten die Explosionen ausgelöst, als sie Waffen aus dem Depot holen wollten. Andere machten hingegen Gaddafis Truppen dafür verantwortlich.

Dem Bericht eines Arztes aus Bengasi zufolge setzten Gaddafis Truppen in Al-Brega und Adschdabija auch Panzer und Hubschrauber ein, mindestens 18 Menschen seien getötet worden.

Funktionäre kehren dem Regime den Rücken zu

Inzwischen wenden sich immer mehr Funktionäre vom Gaddafi-Regime ab. Wie aus gut informierten Kreisen in Tripolis verlautete, haben sich die Sicherheitschefs der Städte Misrata, Sebha, Adschdabija, Bengasi und Tripolis auf die Seite der Aufständischen geschlagen. Auch mehrere hochrangige Offiziere des Militärgeheimdienstes, der Luftwaffe und diverser Polizei-Spezialeinheiten hätten Gaddafi den Rücken gekehrt.

Gleichzeitig laufen in Tunesien die Hilfsmaßnahmen für Libyen-Flüchtlinge auf Hochtouren. Mehrere europäische Staaten haben Flugzeuge und Schiffe bereitgestellt, um geflohene Gastarbeiter in ihre Heimatländer zurückzubringen. An diesem Wochenende will auch die Bundeswehr Flüchtlinge auf im Mittelmeer stationierten Fregatten und einem Versorgungsschiff aufnehmen. Mit einem ersten Charterflug von Djerba nach Ägypten war die deutsche Hilfe am Freitag angelaufen.

EU berät Ende kommender Woche über ihre Libyen-Haltung

Allein zwischen dem 21. Februar und dem 3. März haben nach jüngsten Informationen der EU-Kommission knapp 97.000 Menschen die libysch-tunesische Grenze überquert. Rund 47.000 davon waren Ägypter. Sechs EU-Länder stellten nach offiziellen Angaben vom Freitagabend zuletzt vier Schiffe und 15 Flugzeuge für Evakuierungsaktionen zur Verfügung. Insgesamt zwölf europäische Staaten kümmerten sich um Hilfsgüter wie Decken und Nahrungsmittel für die Flüchtlingscamps oder gaben Geld.

Die Zahl der EU-Bürger in Libyen, die das Land vorerst nicht verlassen wollen, wurde von der EU-Kommission am Freitagabend mit rund 1.200 beziffert. Nur noch 127 warteten noch darauf, in Sicherheit gebracht zu werden. Die Evakuierungsaktionen konzentrierten sich derzeit auf die Hauptstadt Tripolis, Bengasi sowie die Jalu/Nafura-Region, teilte die EU mit.

Angesichts des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte schließen die europäischen Sozialdemokraten Militäraktionen in Libyen zum Schutz der Bevölkerung nicht grundsätzlich aus. Sie müssten aber unter dem Dach der Vereinten Nationen und unter Einbeziehung der Arabische Liga erfolgen, sagte der Vorsitzende der sozialistischen Fraktion im Europaparlament, Martin Schulz, der Nachrichtenagentur dpa am Freitag am Rande einer Sitzung der sozialdemokratischen Partei- und Regierungschefs in Athen. Die EU will bei einem Sondergipfel Ende kommender Woche in Brüssel über ihre Haltung zu Libyen beraten.

Starke Militärpräsenz von Nato und USA auf Kreta

Die USA und andere Nato-Staaten ziehen derweil starke Einheiten auf der Mittelmeerinsel Kreta zusammen. Wie griechische Medien und Augenzeugen aus der Region am Samstag berichteten, sind bereits zwei große amerikanische Schiffe in der Bucht von Souda eingelaufen, darunter der Hubschrauberträger "USS Kearsarge". An Bord seien rund 1.200 Besatzungsmitglieder, darunter fast 800 Marineinfanteristen, berichtete der griechische Rundfunk. Das Schiff eignet sich sowohl für Landungsunternehmen wie auch für Evakuierungsaktionen.

Zudem sollen im nahegelegenen Flughafen von Souda-Akrotiri Spezialeinheiten aus verschiedenen Nato-Staaten, darunter auch aus Deutschland, angekommen sein. Genaue Zahlen wollte das Verteidigungsministerium in Athen nicht nennen. Einwohner der Region sagten der Nachrichtenagentur dpa am Samstag, sie hätten mindestens sechs Transall-Maschinen gesichtet.

Per Kampfjet nur 20 Minuten bis Libyen

Im Marine-Stützpunkt wurde zudem das amphibische Landungsschiff "USS Ponce" gesichtet. Weitere Schiffe der 6. amerikanischen Flotte, die im Mittelmeer operiert, würden erwartet, berichtete die griechische Presse. Bereits am Donnerstag waren auf Kreta rund 400 Soldaten aus den USA eingetroffen, hieß es aus diplomatischen Quellen.

Die Bucht und der Flughafen von Souda sind Teile eines der größten Marine- und Luftwaffenstützpunkte der Nato und der USA sowie der griechischen Streitkräfte im Mittelmeer. Schiffe können von dort binnen neun Stunden die libysche Küste erreichen, Kampfjets brauchen etwa 20 Minuten. Die griechische Regierung hat in den vergangenen Tagen wiederholt erklärt, der Stützpunkt von Souda könne nur nach einem Beschluss des UN-Sicherheitsrates für militärische Zwecke benutzt werden. Vergangene Woche hatten zwei Transall-Maschinen der Bundeswehr von Souda aus dutzende EU-Bürger aus der Wüste Libyens nach Kreta in Sicherheit gebracht.

dpa