Missbrauchsbeauftragte weiter für gemeinsame Lösung
Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Christine Bergmann, strebt am Runden Tisch Missbrauch einen gemeinsamen Hilfsfonds an. Die katholische Kirche, die ein eigenes Entschädigungsmodell vorgestellt hat, müsse nun erklären, ob sie an einer gemeinsamen Lösung weiter mitarbeiten wolle, sagt die SPD-Politikerin und frühere Bundesfamilienministerin. Bergmann leitet die von der Bundesregierung eingerichtete Anlaufstelle für Missbrauchsopfer.
04.03.2011
Die Fragen stellte Bettina Markmeyer

Die katholische Kirche hat am Mittwoch eine eigene Lösung für Entschädigungen in Höhe von 5.000 Euro vorgestellt, noch während Sie der Rechts-Arbeitsgruppe des Runden Tisches Ihr Konzept gemeinsamer Hilfen erläutert haben. Missbrauchsopfer können ab nächster Woche bei der Kirche Anträge stellen, auch auf die Kostenübernahme für Therapien. Ist aus Ihrer Sicht die Kirche damit aus der gemeinsamen Arbeit ausgestiegen?

Bergmann: Das Konzept lag als Vorschlag schon länger auf dem Tisch und wurde gestern nach unserer Sitzung als beschlossen vorgestellt. Grundsätzlich steht es einem gemeinsamen Hilfsmodell nicht entgegen, und ich setze weiter auf eine einvernehmliche Lösung. Aber es gibt Klärungsbedarf. Die katholische Kirche muss uns sagen, ob sie ihr Modell als Ausstieg aus den gemeinsamen Anstrengungen betrachtet. Oder ob sie sich weiterhin einer möglichen Lösung am Runden Tisch anschließen will. Es gibt die Aussage, dass sie weiter mitmachen will, aber das ist nicht eindeutig. Mein Anliegen ist wirklich, dass wir zu einer gemeinsamen Lösung kommen für alle Betroffenen, auch für diejenigen, die Missbrauch in der Familie erlebt haben. Es geht um ein Zeichen gemeinsamer Verantwortung, das für die Betroffenen auch für eine Anerkennung ihres Leidens steht.

Sind 5.000 Euro als Entschädigungssumme ausreichend?

Bergmann: Mit keiner Summe wird man dem gerecht, was die Menschen in ihrer Kindheit und Jugend erlebt haben. Es sind erschütternde Berichte, die ich in den letzten Monaten gelesen habe. Mit dem, was einzelne Institutionen an finanzieller Anerkennung oder Unterstützung zahlen, müssen sie sich vor den Betroffenen in ihrem eigenen Bereich verantworten.

Was ist Ihr eigener Vorschlag?

Bergmann: Mein favorisiertes Modell setzt vor allem auf Beratung und Therapie. Denn das ist der Punkt, der von allen Betroffenen auch in der Anlaufstelle an erster Stelle genannt wird. Ich strebe ein gemeinsames Modell an, bei dem alle Betroffenen Hilfe erhalten sollen. Denn was die Menschen benötigen, hängt nicht davon ab, wo der Missbrauch stattgefunden hat, ob in einer Privatschule oder in der Familie. Man kann aber jetzt noch nicht sagen, wie das im Einzelnen aussehen wird. Es muss ein Gremium geben, das die Folgeschäden beurteilt. Da haben wir mit dem, was der Runde Tisch Heimerziehung beschlossen hat, ein Vorbild. Wichtig ist, dass je nach Bedarf individuelle Lösungen möglich sind. Für den einen ist eine spezielle, von den Kassen nicht finanzierteTherapie notwendig, ein anderer braucht vor allem Beratung. Das kann man nicht pauschal regeln.

Zwei Drittel der Menschen, die sich bei Ihrer Anlaufstelle melden, sind in der eigenen Familie Opfer eines sexuellen Missbrauchs geworden. Das bedeutet für einen gemeinsamen Fonds, dass der Bund und die Länder den Großteil der Summe zahlen müssten, weil hier keine Institutionen zur Verantwortung gezogen werden können. Ist das nicht auch ein Problem für das Zustandekommen dieses Fonds?

Bergmann: Der Auftrag an mich lautet ganz klar, Vorschläge zu machen für materielle und immaterielle Hilfen und dabei den familiären Missbrauch einzubeziehen. Es kann also nicht damit getan sein, dass es eine Anlaufstelle gibt, an die sich die Menschen wenden können. Vielmehr hat sich der Staat mit der Formulierung dieses Auftrags selbst in die Pflicht genommen. Da steht er in der Verantwortung.

Die katholische Kirche hat ihr Entschädigungsmodell nun beschlossen. Können Sie sagen, wann der Runde Tisch seinen Vorschlag präsentieren wird?

Bergmann: Ich werde dem Runden Tisch meine eigenen Empfehlungen Ende Mai vorlegen. Er wird sich dann damit auseinandersetzen. Mir liegt aber viel daran, jetzt schon eine gemeinsame Linie zu finden, weil ich es für sehr ungut hielte, wenn es einen großen Streit um die Fragen von Hilfe und Entschädigungen gäbe, der für die Betroffenen sehr bitter wäre.

epd