SPD und Kirchen: Was sie eint, was sie trennt
Für Schlagzeilen hat vor kurzem die Ankündigung einiger Sozialdemokraten gesorgt, einen "Arbeitskreis Laizisten in der SPD" zu gründen. Der Parteivorstand hält wenig von dieser Idee. Wolfgang Thierse erläutert die Hintergründe: Die Gruppierung wolle das "bewährte Verhältnis zwischen Staat und Kirche drastisch verändern", so der Bundestagsvizepräsident. Im Gespräch mit evangelisch.de schildert Thierse auch, was SPD und Kirchen verbindet und unterscheidet, warum er als ostdeutscher Katholik ausgerechnet Sozialdemokrat wurde - und warum ihn die Linkspartei mit ihrem Verweis auf den "Kommunismus" im Urchristentum nervt.
04.03.2011
Die Fragen stellte Bernd Buchner

Herr Thierse, ein berühmtes Jesuszitat lautet: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist - und Gott, was Gottes ist". Wie laizistisch muss eine politische Partei heutzutage sein?

Thierse: Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass die Unterscheidung von Politik und Religion richtig ist. Wir leben in einem Land, in dem Staat und Kirche getrennt sind - auch wenn sie mit Erfolg ein kooperatives Verhältnis eingegangen sind. Es charakterisiert die SPD als Volkspartei, dass es in ihr auch Laizisten, Atheisten und Agnostiker gibt. Sich darüber aufzuregen, halte ich für illegitim. In einem weltanschaulich pluralen Land ist es vernünftig, dass auch Volksparteien weltanschaulich plural sind. Im geltenden SPD-Grundsatzprogramm, dem Hamburger Programm von 2007, steht ausdrücklich, dass die weltanschaulichen Quellen der Sozialdemokratie Judentum und Christentum, Aufklärung und Humanismus sowie die Erfahrungen der Arbeiterbewegung sind.

Der Arbeitskreis "Laizisten in der SPD" ist beim Parteivorstand nicht gerade gut gelitten. Wie ist der aktuelle Stand?

Thierse: Wie gesagt, es ist legitim, dass es Laizisten, Atheisten oder Agnostiker in der SPD gibt. Das Problem ist, dass sich da einige zusammengetan haben und einen Arbeitskreis gründen wollen mit Forderungen, die weit hinter das geltende Parteiprogramm der SPD zurückgehen. Die unser Grundgesetz sowie das bewährte Verhältnis zwischen Staat und Kirche drastisch verändern wollen. Die also im Grunde die Parteinahme des weltanschaulich neutralen Staates für ihren säkularistischen Humanismus wollen. Deswegen stößt diese Absicht, einen solchen Arbeitskreis in der SPD zu gründen, auf Ablehnung.

Die Säkularisierung ist ja eine zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Was verbindet die SPD heute mit den Kirchen, was haben sie gemeinsam?

Thierse: Erstens gibt es in der SPD sehr viele Christen. Eine Befragung hat ergeben, dass 73 Prozent der Parteimitglieder einer Religionsgemeinschaft angehören. Das sind anteilsmäßig mehr als in der deutschen Bevölkerung. Die Menschen in der Sozialdemokratie sind zu einem Gutteil motiviert, sich aus dem christlichen Glauben heraus zu engagieren. Zum anderen gibt es da natürlich Überschneidungen: Die sozialen Anliegen der Kirchen und der SPD sind nahe beieinander, auch bei den Vorstellungen von Gerechtigkeit und Solidarität berühren wir uns sehr eng. Wenn es Nähe gibt, ist es vernünftig, diese Nähe nicht zu leugnen oder zu zerstören, sondern zu praktizieren. Das heißt nicht, dass die SPD die Kirchen politisch instrumentalisieren will - so wenig, wie die Kirchen die Absicht haben, die Partei für ihre Kirchenzwecke zu instrumentalisieren. Wo es aber gleiche Anliegen gibt, soll man auf den unterschiedlichen Ebenen wirksam werden: die SPD auf der Ebene der Politik und des Staates, die Kirchen durch Verkündigung, durch Begleitung und Motivierung der Gläubigen.

Es gibt auch Dinge, die Kirchen und Sozialdemokraten voneinander trennen.

Thierse: Es kommt immer auf das konkrete Problem an. Selbst bei Gewissensfragen, mit denen Abgeordnete sich zu befassen haben, ist es ja nicht so, dass es nur die eine Auffassung der Kirchen gäbe und die eine Auffassung der Sozialdemokraten. Nehmen wir ein Thema, das uns seit Monaten beschäftigt, die Präimplantationsdiagnostik (PID). Die katholische Kirche hat da eine sehr klare Position, es soll beim Verbot bleiben. In der evangelischen Kirche gibt es eine Mehrheit für diese Position, aber auch andere Meinungen. In SPD, CDU und den anderen Parteien gibt es unterschiedliche Positionen. Es ist eine Frage, bei der jeder einzelne Abgeordnete nach Prüfung seines Gewissens - und sich auch durch seine Kirche belehren lassend - eine Entscheidung zu treffen hat. Das ist keine Gegnerschaft. Das ist auch kein abgrundtiefer Unterschied zwischen SPD und Kirchen, sondern man muss miteinander abwägen, was die richtige, die moralisch beste Entscheidung ist.

Was SPD und Kirchen verbunden hat, war seit jeher die Friedensthematik - von der Wiederbewaffnungsdebatte in der Bundesrepublik bis zur DDR-Opposition unter dem Leitwort "Schwerter zu Pflugscharen". Sie kommen aus der dortigen Oppositionsbewegung und haben natürlich etwas mitgebracht in das vereinigte Deutschland. Ist auch die SPD durch den ostdeutschen Beitrag christlicher geworden?

Thierse: Ich glaube nicht, dass die SPD kirchlicher geworden ist - so wenig, wie die CDU kirchlich ist. Aber es sind, ich sagte es bereits, in der Sozialdemokratie ausgesprochen viele Christenmenschen versammelt. Dass diese ihre Überzeugungen nicht ablegen, wenn sie politisch argumentieren und entscheiden, dass möchte ich mir schon wünschen. Bei der Friedensfrage haben wir alle miteinander lernen müssen, dass 1990 nach dem Ende des furchtbaren Ost-West-Konfliktes nicht ein goldenes Zeitalter des Friedens ausgebrochen ist. Es gibt alte und neue Konflikte. Ich habe das ganz schmerzlich gelernt am Beispiel des ehemaligen Jugoslawien. Wir haben zu begreifen, dass wir nicht sagen können: Das geht uns nichts an. Wir hatten uns geschworen, nie wieder deutsche Soldaten irgendwohin zu schicken. Plötzlich kommt von dort der Ruf: Wir wollen eure Soldaten, damit sie uns beim Frieden helfen. Da muss man neu lernen, was Friedensverantwortung auch für das geeinigte Deutschland ist. Das haben die Kirchen und die Parteien miteinander gelernt - ganz mühselig. [Foto: Wolfgang Thierse bei einem SPD-Parteitag im Mai 1990 in Halle/Saale - epd-bild, Andreas Schoelzel]

Die Unionsparteien tragen das "C" schon im Namen. Sind Sie manchmal neidisch auf diesen kleinen Startvorteil?

Thierse: Im Gegenteil. Ich glaube, dass das immer eine Überforderung ist. Auch diese Parteien können ja nicht von sich sagen - ganz ohne Arroganz und moralische Anmaßung -, dass alles, was sie tun und entscheiden, christlich sei. Ich bin ausdrücklich, als überzeugter katholischer Christ, in die Sozialdemokratie eingetreten, weil sie weltanschaulich plural ist. Und, ich sage das ohne Vorwurf, die CDU wird doch nicht nur von Menschen gewählt, die Christen sind. Sonst hätte sie in Ostdeutschland gar nicht diese Wahlergebnisse erzielen können. Drei Viertel der Menschen dort haben mit den christlichen Kirchen gar nichts mehr am Hute. In einem ganz praktischen Sinne erscheint mir das C bei dieser Partei gelegentlich als Anmaßung.

Allerdings wählen noch immer mindestens zwei Drittel der regelmäßigen katholischen Kirchgänger die Unionsparteien, und die Katholiken sind in der SPD deutlich in der Minderheit - Sie sind sozusagen in einer doppelten Minderheitensituation. Stört Sie das?

[listbox:title=Mehr im Netz[Das Hamburger Programm der SPD aus dem Jahr 2007##Informationen zum Bevollmächtigten des EKD-Rates bei der Bundesregierung##Web-Auftritt des Instituts für vergleichende Staat-Kirche-Forschung##Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung zu Pluralität und Laizismus am Beispiel des islamischen Kopftuchs]]

Thierse: Das ist gar nicht so dramatisch. Natürlich erregt das immer noch Erstaunen. Die Menschen sagen zu mir: Herr Thierse, Sie kommen aus dem Osten, sind sozialdemokratisch und katholisch, das gibt es alles doch gar nicht. Das ist dann der Überraschungseffekt. Nein, es hat ja auch schon unterschiedliche Wahlergebnisse gegeben. Beim großen Erfolg von Willy Brandt 1972 hat die Hälfte der Katholiken SPD gewählt. Es gibt nicht mehr diese starre parteipolitische Zuordnung. Das ist lockerer geworden. Es gibt keine wirklich kirchlichen Milieus mehr, so wenig es noch wirklich parteipolitische Milieus gibt. Die Wähler sind freier und unabhängiger. Die Parteien müssen sich immer wieder neu auch um christliche, religiöse Wähler mühen.

Aus der Linkspartei ist manchmal zu hören, das mit dem Kommunismus stehe ja schon in der Apostelgeschichte, "und sie hatten alles gemeinsam"...

Thierse: Das finde ich eine ziemliche Unverschämtheit. Die Klassiker und Ideologen des Kommunismus haben scharfe Kritik an dem "unwissenschaftlichen" Kommunismus des Urchristentums geübt, ihm Naivität vorgehalten. Wenn jetzt ausgerechnet die Linkspartei, die vieles ist, aber mit Sicherheit nicht christenfreundlich, sich darauf beruft, ist das unverschämt.


Wolfgang Thierse (67), studierter Germanist und Kulturwissenschaftler, war Mitarbeiter am Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR. In der Wendezeit gehörte er zunächst dem Neuen Forum an, später wechselte er zur SPD und wurde als Parteivorsitzender zu einer der wichtigsten Persönlichkeiten der ostdeutschen Sozialdemokratie. 1998 bis 2005 war Thierse Präsident des Deutschen Bundestages, seitdem ist er stellvertretender Präsident. Der verheiratete Vater von zwei Kindern, der im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg wohnt, gehört dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) an.