Ermittlungen gegen Gaddafi - weiter Kämpfe in Libyen
Der Internationale Strafgerichtshof hat Ermittlungen gegen den libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgenommen. Auch gegen Kommandeure der Sicherheitskräfte und Personen im nahen Umfeld von Gaddafi, darunter einige seiner Söhne, werde ermittelt, sagte Chefankläger Luis Moreno Ocampo am Donnerstag in Den Haag.

Der Gerichtshof verfüge über Berichte, wonach Sicherheitskräfte die Bevölkerung seit dem 15. Februar in mindestens neun libyschen Städten angegriffen hätten. "Es gibt ernsthafte Hinweise dafür, dass es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt", sagte der Chefankläger. Er ermittle zunächst gegen diejenigen, die Befehlsgewalt hätten und über Übergriffe informiert sein müssten. In wenigen Monaten will Moreno Ocampo bei den Richtern Haftbefehle beantragen.

Moreno Ocampo richtete eine deutliche Warnung an alle Befehlsinhaber in Libyen: "Wenn Sie die Gewalt nicht stoppen oder bestrafen, dann sind Sie auch strafrechtlich verantwortlich." Insbesondere warnte er die Befehlshaber von Armee, Sicherheitseinheiten und Gaddafis persönlicher Garde. Allerdings seien auch die Oppositionskräfte bewaffnet, betonte der Jurist. Wenn sie Verbrechen begingen, würden sie ebenso zur Verantwortung gezogen. "Es gibt keine Straffreiheit in Libyen."

Der Strafgerichtshof war vom UN-Sicherheitsrat mit einer Untersuchung mutmaßlicher Angriffe auf die Zivilbevölkerung beauftragt worden. Moreno Ocampo begrüßte das schnelle und geschlossene Eingreifen der Weltgemeinschaft: "Dies ist eine neue Ära, die Welt ist zur Stelle. Niemand darf Zivilisten angreifen."

Opposition organisiert sich besser

Von den Warnungen ließ sich Gaddafi am Donnerstag aber nicht abschrecken. Nach der Niederlage seiner Truppen in der Stadt Al-Brega schickte der libysche Staatschef am Donnerstag Kampfflugzeuge in das Rebellengebiet. Ein Polizeikommandeur in Bengasi, der inoffiziellen Hauptstadt des "befreiten Ost-Libyens", sagte der Nachrichtenagentur dpa, Gaddafis Truppen hätten mehrere Ziele in Al-Brega bombardiert. Die Aufständischen im Osten Libyens hatten am Mittwoch nach eigenen Angaben eine Offensive der Gaddafi-Truppen in Al-Brega und Adschdabija gestoppt. Dabei seien ihnen mehrere Soldaten und Söldner sowie 45 Militärfahrzeuge in die Hände gefallen.

In der weiter östlichen gelegenen Stadt Tobruk habe sich eine Einheit der Marine den Aufständischen angeschlossen, meldete der Nachrichtensender Al-Arabija. Nach Informationen des TV-Senders Al-Dschasira wird inzwischen auch die südliche Oasenstadt Al-Kufra von den Aufständischen kontrolliert.

Unterdessen macht die Organisation der Rebellen im Osten Fortschritte. Die libysche Exil-Opposition teilte mit, in der Stadt Bengasi sei eine neue Brigade namens "Brigade 17. Februar" gegründet worden. Die Übergangsregierung in Bengasi erklärte, der Transport weiterer ausländischer Söldner nach Libyen müsse unbedingt unterbunden werden. Dafür seien auch Luftangriffe ausländischer Armeen gerechtfertigt. "Dies wäre keine ausländische Militärintervention auf libyschem Boden", betonte ein Sprecher des Gremiums.

In der libyschen Hauptstadt Tripolis blieb es am Donnerstag ruhig. Nach Angaben von Augenzeugen hatten zahlreiche Banken und Geschäfte geöffnet. Das Gaddafi-Regime hatte bereits vor einigen Tagen die Parole ausgegeben: "Alles muss so normal wie möglich aussehen."

Clinton befürchtet "zweites Somalia"

US-Außenministerin Hillary Clinton befürchtet angesichts der blutigen Unruhen in Libyen Verhältnisse wie im krisengeschüttelten Somalia. Am Mittwoch (Ortszeit) wies sie darauf hin, dass zahlreiche Kämpfer des Terrornetzes Al-Kaida in Afghanistan und im Irak aus dem nordafrikanischen Land stammten. "Eine unserer größten Sorgen ist, dass Libyen im Chaos versinkt und zu einem gigantischen Somalia wird", erklärte die Ministerin. Viele der Al-Kaida-Kämpfer stammten aus dem Osten Libyens, der Hochburg der Opposition.

Die Nato will "für jeden Eventualfall" in Libyen gerüstet sein. Dies sagte eine Sprecherin des Bündnisses am Donnerstag in Brüssel auf die Frage, ob die Nato eine Flugverbotszone in Libyen vorbereite. Alle 28 Nato-Regierungen hätten bei einem Treffen des Nato-Rates am Mittwoch unter Vorsitz von Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen "große Sorge über die anhaltende Gewalt und die ernste humanitäre Lage in Libyen gezeigt".

Ein Nato-Land muss sich allerdings schon jetzt militärisch mit Libyen auseinandersetzen: Bei einer missglückten Evakuierungsaktion sind drei niederländische Besatzungsmitglieder eines Marine-Hubschraubers dem Gaddafi-Militär in die Hände gefallen. Die Regierung in Den Haag sei intensiv um die Freilassung der Soldaten bemüht, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am Donnerstag.

Gaddafi-Milizen haben die Soldaten in ihrer Gewalt

Den Angaben zufolge flogen die Soldaten am vergangenen Sonntag mit ihrem Lynx-Hubschrauber von der im Mittelmeer kreuzenden niederländischen Fregatte MS Tromp aus zur libyschen Stadt Syrte, um zwei dort festsitzende Landsleute abzuholen. Nach der Landung sei die Hubschrauberbesatzung von einer Gaddafi-Milizgruppe angegriffen und gefangen genommen worden.

Ministerpräsident Mark Rutte bat um Verständnis, dass dazu vorerst keine Einzelheiten mitgeteilt werden. Den drei Marinefliegern gehe es gut, "soweit wir das wissen", sagte ein Ministeriumssprecher. Die beiden Niederländer, die von dem Hubschrauber abgeholt werden sollten, seien später an die Haager Botschaft in Tripolis übergeben worden und hätten das Land bereits verlassen, berichtete der niederländische Sender NOS. In Holland wurde Kritik an der Aktion laut, weil die Marine nicht versucht habe, eine Erlaubnis für die geplante Evakuierung aus einem von der Regierung kontrollierten Gebiet einzuholen.

dpa