Käßmann: Druck im Amt machte mich fehleranfällig
Ein Jahr nach ihrem Rücktritt als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beklagt Margot Käßmann den hohen Druck in dem Amt. Menschen in öffentlichen Ämtern bräuchten mehr Freiraum.

"Im Rückblick würde ich mich nicht so hetzen lassen", sagte Käßmann in einem Interview mit dem "Hamburger Abendblatt" (Donnerstagsausgabe). Durch den hohen Druck sei sie vermutlich auch fehleranfälliger gewesen, sagte die Theologin in Bezug auf die Alkoholfahrt am Steuer ihres Dienstwagens, die Ende Februar 2010 zum Rücktritt der hannoverschen Landesbischöfin und EKD-Ratsvorsitzenden geführt hatte.

"Bei aller Disziplin geht manchmal die Spontaneität verloren, es fehlen Gelassenheit und Zeit, Neues zu denken, und Zeit für die Seele", sagte Käßmann, die zu Beginn dieses Jahres eine Gastprofessur an der Universität Bochum angetreten hat. Manchmal habe sie im Kalender zwei freie Stunden gesucht - und in fünf Monaten nicht gefunden. "Ich bewundere alle, die das Pensum schaffen", sagte die 52-Jährige.

Allerdings betonte Käßmann, dass Menschen in öffentlichen Ämtern sich frei dazu entschieden hätten: "Niemand ist Opfer in diesen Positionen." Allerdings sprach sie sich für eine "Entschleunigung in der Politik" aus. "Handeln auf Druck lässt keine Freiräume zum Nachdenken", sagte sie.

Nach ihrem Rücktritt habe sie kein Gefühl der Ohnmacht gespürt, "eher das Gefühl von Freiheit". Allerdings habe sie immer noch ein schlechtes Gewissen: Sie sei gerne Ratsvorsitzende gewesen und habe als erste Frau an der Spitze der EKD den Wechsel gestalten sollen.

Ihre Rolle als moralisches Vorbild in Deutschland sieht Käßmann mit gemischten Gefühlen: "Ich bin nicht zurückgetreten, um Maßstäbe zu setzen." Auch sei sie keine "Kultfigur". "Ich kann dem, was manche in mir sehen, gar nicht gerecht werden", räumte die Theologin ein.

epd