Über das Gespür für die Todsünde der Wissenschaft
Betrug in der Wissenschaft – und wie man damit umgehen sollte. Eine abschließende Beobachtung zur Causa Guttenberg aus Jerusalem von Prof. Dr. Christoph Markschies.
02.03.2011
von Dr. Christoph Markschies

Seit rund einem Monat und nun noch für einen weiteren Monat forsche ich hier in Jerusalem, weit entfernt vom deutschen Getümmel. Und doch wird auch in Jerusalem über den Fall des Verteidigungsministers, dessen Bayreuther Dissertation weitgehend aus plagiierten Passagen besteht, debattiert. Keineswegs werden nur die neuesten Witze weitererzählt. Im Gegenteil: Die Studierenden der Einrichtung, an der ich lehre und forsche, verfolgen sehr aufmerksam, wie die Öffentlichkeit (und nicht nur die akademische Öffentlichkeit) mit dem dreisten Betrug des einstigen Bundesministers umgeht.

Obwohl dieser Generation in einem Maße Texte im Internet zur Verfügung stehen wie keiner zuvor und an die Stelle des mühsamen Exzerpierens aus Quellen nach der Phase des Kopierens einzelner Seiten nun das "copy and paste" von Sätzen wie Absätzen in die eigenen Dateien getreten ist, haben diese jungen Studierenden ein feines Gespür dafür, wo die rote Linie zum Betrug verläuft.

Sie wissen, dass das Kopieren von Sätzen und Passagen ohne Nachweis geistiger Diebstahl ist, eine Todsünde im Bereich der Wissenschaft. Und sie haben ärgerlich bis zornig die Bagatellisierungsversuche höchster Politiker verfolgt, die nach dem mittelalterlichen Modell "the king's two bodies" zwischen dem Doktoranden G. und dem Verteidigungsminister G. unterscheiden wollten, als ob Betrug nur die halbe Person betreffen würde.

In Zukunft Stichproben bei jeder Arbeit?

Eine ganze Anzahl meiner Doktorandinnen und Doktoranden hat übrigens das Manifest zum Thema nicht nur unterschrieben, sondern aktiv weiterverbreitet. Aber nicht nur die Studierenden diskutieren Guttenberg: Gestern saß ich zufälligerweise in Jerusalem mit einem rechtswissenschaftlichen Kollegen beim Abendessen, der aus derselben akademischen Freiburger Schule wie der Doktorvater zu Guttenbergs stammt. Er schätzt diesen bereits emeritierten Doktorvater und kann sich überhaupt nicht erklären, warum diese auch für den juristischen Laien etwas zusammengeschusterte Arbeit das höchste Prädikat ("summa cum laude") erhalten hat.

Dagegen kann er nachvollziehen, dass man als Doktorvater normalerweise die Arbeiten seiner Schüler nicht mit Google darauf hin überprüft, ob plagiiert wurde oder nicht. Denn eigentlich sollte in diesem Stadium der wissenschaftlichen Karriere jedem und jeder klar sein, welche Standards in der Wissenschaft gelten. Vielleicht sind in Zukunft aber wenigstens Stichproben bei jeder Arbeit notwendig, um dreisten Betrügern früher das Handwerk zu legen. Und in Bayreuth ist ohnehin noch allerlei aufzuklären.

Falsch verstandene Solidarität und Hilflosigkeit der Zuständigen

Diese wenigen Eindrücke zeigen, dass man vom Standpunkt eines Wissenschaftlers über die Debatte nur glücklich sein kann: Es ist mit wünschenswerter Klarheit nun jedermann deutlich, dass Betrug in der Wissenschaft nicht folgenlos bleibt und geahndet wird. Ich persönlich bin auch deswegen besonders glücklich, weil ich als Präsident der Berliner Humboldt-Universität vor rund drei Jahren versucht habe, einem Plagiator meiner eigenen juristischen Fakultät das Handwerk zu legen und auf massiven Widerstand von seinen Kollegen traf, die aus falsch verstandener Solidarität ihren Freund schützen wollten und auf viel Hilflosigkeit in der Kommission, die zur Bearbeitung solcher Fälle eigentlich berufen ist.

Insbesondere der Bayreuther Jurist Oliver Lepsius – der einer großen Gelehrtenfamilie entstammt – hat in aller Öffentlichkeit wieder und wieder deutlich gemacht, was die Standards von Wissenschaft sind, an die sich alle halten müssen und deren Geltung nicht zur Diskussion steht. Nun bleibt nur noch die Aufgabe, diese Standards auch den Lesern der "Bild" zu erklären, die überhaupt nicht verstehen, warum man wegen ein paar geklauten Fußnoten Ministersessel räumen muss, ob man nun will oder nicht.

Die Erklärung von Professor Dr. Oliver Lepsius, Amtsnachfolger von Guttenbergs Doktorvater an der Universität Bayreuth, im Bayrischen Fernsehen:


Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies ist Professor für Ältere Kirchengeschichte an der Berliner Humboldt-Universität und Vorsitzender der Theologischen Kammer der EKD.