Merkel wirft Guttenberg-Gegnern Scheinheiligkeit vor
Die Stimmung an der CDU-Parteibasis in Baden-Württemberg schwankt zwischen Trauer, Trotz und Zorn. Ihr Hoffnungsträger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ist zurückgetreten und hat dem Wahlkampf einen Dämpfer versetzt. Die Kanzlerin reagiert mit Attacke.
02.03.2011
Von Ingo Senft-Werner

"Es ist entsetzlich." Die zwei älteren Frauen wiederholen den Satz mehrmals. Es ist ihre Reaktion auf den so nicht erwarteten Rücktritt von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Dieses Gefühl steht vielen CDU-Mitgliedern ins Gesicht geschrieben, die am Dienstagabend zum Wahlkampfauftritt von Kanzlerin Angela Merkel und dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus in Karlsruhe gekommen sind. Sie wollen sehen, wie die Partei- und Regierungschefin den Schlag wegsteckt und welche Folgen Mappus für die Landtagswahl am 27. März befürchtet.

Merkel lässt Guttenberg mit "sehr schwerem Herzen ziehen"

Die Kanzlerin geht vor mehreren hundert Zuhörern in die Offensive. "Soviel Scheinheiligkeit und Verlogenheit war selten in Deutschland", sagt sie, begleitet von heftigem Beifall. Der Opposition gehe es nicht um den Erhalt der wissenschaftlichen Werte, sondern vor allem um die Schwächung der Union. "Wir müssen uns von niemandem erklären lassen, was Anstand und Ehre in unserer Gesellschaft sind." Zu Guttenberg werde sich wie jeder andere auch in seiner Situation dem Rechtsstaat unterwerfen und für seinen schweren Fehler geradestehen.

Mit wenigen Worten würdigt Merkel die Verdienste Guttenbergs vor allem bei der Bundeswehrreform. Sie habe ihn deshalb "sehr schweren Herzens" ziehen lassen. Mit ihm verliere auch die Partei einen Mann, "der die Herzen der Unionsanhänger immer wieder erfreut und bewegt hat. Sie sind ihm zugeflogen und das mit Recht."

Mappus stellt Guttenberg als geläuterten Politiker und Menschen dar. "Er hat einen großen Fehler gemacht, aber er steht dazu, er hat die Konsequenzen gezogen und sich entschuldigt und damit Größe gezeigt." Diesen Charakter sollten all jene, die jetzt Jagd auf ihn gemacht hätten, erst einmal beweisen. Die CDU müsse jetzt zusammenstehen.

"Der ist in ein paar Jahren wieder da"

Die Basis zeigte sich am Rand der Veranstaltung in zwei Punkten einig: Es war eine Kampagne gegen den Minister, und sie hat einen ihrer Hoffnungsträger zur Fall gebracht. Fast alle zollen ihm Respekt für die Entscheidung. "Ich habe ihn sehr geschätzt, und es tut mir leid. Aber ich kann es verstehen", sagt eine Frau vom Bürgerverein Mühlburg. Ihr Mann ergänzt: "Es wundert einen, warum es gerade jetzt im Wahljahr herauskommt. Das hat schon ein Geschmäckle."

Joachim Lauterbach, Gemeinderat in Waldbronn, spricht von einer "Hetzjagd von Leuten, die ihm nicht das Wasser reichen konnten". Er wolle gar nicht wissen, bei wie vielen Doktorarbeiten geschummelt werde. Sein Freund Jörg Biermann, ein ehemaliger Gemeinderat aus Bretten, sieht es etwas kritischer. "Er hätte früher die Reißleine ziehen müssen. Wenn die Jagd erstmal eröffnet ist, muss auch jemand geschossen werden."

Was nun wird? Da gehen die Meinungen auseinander. "Das ist schon ein Tiefschlag", sagt ein junger CDU-Funktionär. Die beiden älteren Frauen sind sich dagegen sicher, dass die CDU durch diese Kampagne zusammengeschweißt wird. "Jetzt erst recht." Auch Lauterbach glaubt an einen Mobilisierungseffekt. "Die große Mehrheit der Bevölkerung steht doch zu ihm."

Und was wird aus Guttenberg? "Der ist in ein paar Jahren wieder da", ist der Karlsruher CDU-Sprecher Marcus Hartmann überzeugt. Ein Satz, der an dem Abend noch häufiger zu hören ist.

Guttenberg will auch Bundestagsmandat abgeben

Nach seinem Rücktritt als Verteidigungsminister will Guttenberg auch sein Bundestagsmandat abgeben und damit komplett von der politischen Bühne in Berlin abtreten. Guttenberg habe Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) eine entsprechende Erklärung übermittelt, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Dienstagabend aus CSU-Kreisen.

Der Verzicht auf das Mandat wäre auch mit Blick auf mögliche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft im Zuge der Plagiatsaffäre um Guttenbergs Doktorarbeit von Bedeutung. Es würde auch im öffentlichen sowie in seinem eigenen Interesse liegen, "wenn auch die staatsanwaltlichen Ermittlungen etwa bezüglich urheberrechtlicher Fragen nach Aufhebung der parlamentarischen Immunität, sollte dies noch erforderlich sein, zeitnah geführt werden können", sagte er. Guttenberg sitzt seit 2002 im Bundestag und war seit 2009 Minister.

Hochschulverband erleichtert über Guttenbergs Rücktritt

Die Wissenschaft atmet nach dem Rücktritt von Ex-Verteidigungsminister Guttenberg durch. "Wir empfinden Erleichterung, dass dies nun ein Ende hat", sagte der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen, der "Rheinischen Post" (Mittwoch). Es habe beunruhigt, dass das systematische Abschreiben bei der Doktorarbeit in der öffentlichen Debatte auf eine Ebene mit Lausbubenstreichen gestellt worden sei.

"Es wäre schlimm gewesen, wenn sich der Eindruck verfestigt hätte, dass es in der Wissenschaft mit Lug und Trug zugeht und dass dies ohne weitere Konsequenzen für die berufliche Laufbahn bleibt. Diese Marginalisierung von Wissenschaft hat uns empört", sagte Kempen. Am 24. Februar hatte Kempen erklärt: "Es ist unerträglich, wie die Bedeutung der Wissenschaft und ihrer ehernen Gesetze politisch kleingeredet wird."

dpa