Integrationsdebatte: Kritik an Erdogan-Rede
Die Äußerungen des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan zur Integration von Landsleuten in Deutschland sorgen bei deutschen Politikern weiter für Debatten.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), wies Erdogans Forderung zurück, Kinder aus türkischen Familien, die in Deutschland leben, sollten zunächst ihre Muttersprache lernen und dann Deutsch. "Die Sprache des Landes, in dem man auf Dauer bleibt, muss Vorrang haben", sagte sie der "Passauer Neuen Presse" (Dienstag).

Polenz verteidigt türkischen Regierungschef

Erdogan hatte mit seiner Forderung, die er am Sonntagabend bei einem Auftritt vor rund 10.000 Landsleuten in Düsseldorf erhoben hatte, heftige Reaktionen bei führenden FDP- und Unionspolitikern ausgelöste. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich hingegen weniger kritisch. Sie sagte am Montagabend bei der Eröffnung der weltgrößten Computermesse CeBIT in Hannover, sie setze nach wie vor darauf, dass junge Türken auch Deutsch lernen. Viele Türken aus der Gastarbeiter-Generation seien heute gut integriert - auch dank ihrer deutschen Sprachkenntnisse.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), sagte der "Frankfurter Rundschau" (Dienstag), er könne an den Äußerungen "nichts Kritikwürdiges erkennen", zumal Erdogan ja auch an seine in Deutschland lebenden Landsleute appelliert habe, auf Bildung und Karriere zu setzen. "Viele Sprachexperten betonen, man müsse zunächst seine Muttersprache beherrschen, bevor man sich die des Landes aneignet, in dem man lebt."

Doppelpass light für Deutsch-Türken

Als einen "sehr interessanten Vorschlag" bezeichnete die Integrationsbeauftragte Böhmer einen von Erdogan vorgesehenen Doppelpass light für Deutsch-Türken."Die Bundesregierung wird das sehr genau prüfen", kündigte sie in der "Passauer Neuen Presse" an: "Wir unterstützen alles, was der Integration in Deutschland dient. "

Erdogan hatte in Düsseldorf eine Gesetzesänderung in der Türkei angekündigt. Demnach sollen künftig alle, die den türkischen Pass abgeben und sich in Deutschland einbürgern lassen, eine sogenannte Blaue Karte erhalten, die in der Türkei die Funktion eines Personalausweises erfüllen soll und ein Aufenthaltsrecht garantiert. Dies würde auch bedeuten, dass in Deutschland eingebürgerte Türken auf Erbansprüche in ihrer früheren Heimat nicht verzichten müssten, was bisher viele von einem Antrag auf einen deutschen Pass abgeschreckt haben soll.

Auch der stellvertretende SPD-Vorsitzende Klaus Wowereit begrüßte die Pläne, mit denen Erdogan seinen in Deutschland lebenden Landsleuten die Entscheidung für einen deutschen Pass erleichtern will. "Die angekündigte Reform des türkischen Staatsbürgerschaftsrechts ist ein Anreiz, der helfen wird, Identitätskonflikte zu minimieren und Integration zu fördern", erklärte Berlins Regierender Bürgermeister in einer Mitteilung. Aber auch die Bundesregierung müsse sich bei Fragen des Staatsangehörigkeitsrechts, etwa der doppelten Staatsbürgerschaft, bewegen.

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir wies die Warnung des türkischen Ministerpräsidenten an seine in Deutschland lebenden Landsleute vor einer kulturellen Verschmelzung zurück. "Assimilation ist eine individuelle Entscheidung, in die sich niemand einzumischen hat", sagte der türkischstämmige Grünen-Politiker der Zeitung "Die Welt" (Dienstag).

Westerwelle: Weiter über EU-Beitritt der Türkei verhandeln

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hat sich für eine Fortsetzung der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ausgesprochen. Er widersprach damit in den "Stuttgarter Nachrichten" (Dienstag) einer Forderung von Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU), der sich mit Blick auf die angeblich mangelnde Religionsfreiheit in der Türkei für einen Stopp der Verhandlungen ausgesprochen hatte.

Westerwelle sagte: "Die Beitrittsverhandlungen werden, wie international vertraglich vereinbart, ergebnisoffen geführt. Es geht um eine faire und respektvolle Behandlung der Türkei." Gleichzeitig betonte der Außenminister: "Müsste heute entschieden werden, wäre die Türkei nicht beitrittsfähig und die EU nicht aufnahmefähig. Aber heute muss nicht entschieden werden, sondern erst in einigen Jahren. Und bis dahin haben wir doch alle ein gemeinsames Interesse daran, dass der Blick der Türkei weiter in Richtung Europa geht."

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagte am Montagabend bei der Eröffnung der Computermesse CeBIT in Hannover, sein Land baue bei den Verhandlungen weiter auf die Fürsprache der Bundesrepublik. Deutschland sei dasjenige Land, das die Türkei und ihren Wunsch nach einer EU-Mitgliedschaft "am besten verstehen kann. Die Politiker in Deutschland werden diesen Prozess hoffentlich weiter unterstützen", meinte Erdogan.

Er forderte zudem, die EU solle unter anderem ihre Einreisebestimmungen lockern. "Die Türkei hat eine Zollunion mit der EU und verhandelt mit ihr (über eine Mitgliedschaft). Jetzt ist es Zeit, eine neue Perspektive zu entwickeln", sagte Erdogan.

dpa