Die zornigen Frauen der arabischen Revolten
Er soll zur Geschlechtergleichstellung, Würde und Gewaltlosigkeit mahnen: der Weltfrauentag. In diesem Jahr feiert er sein 100-jähriges Jubiläum. Die Grünen-Gründerin Eva Quistorp nimmt ihn zum Anlass und spricht über die zornigen Frauen in den Befreiungskämpfen Tunesiens und Ägyptens.
28.02.2011
Die Fragen stellte Sigrid Lehmann-Wacker

Frau Quistorp, Sie regen an, den Internationalen Frauentag in diesem Jahr besonderen Frauen zu widmen. Und zwar denen, die eine entscheidende Rolle in den Befreiungskämpfen Tunesiens und Ägyptens und der Frauenbewegung des Irans spielten.

Eva Quistorp: Ja, es ist bewundernswert, was Frauenrechtsgruppen aus drei Generationen in den letzten Jahrzehnten der autoritären bis totalitären Regimes im Iran und im Maghreb geleistet haben. Ich finde, der Begriff "Revolution" wird sehr naiv oder voller Projektionen verwendet. Für mich waren die Vorgänge in Nordafrika großartige gewaltfreie Massenbewegungen, bewegende Weltgeschichte. Das verdient Bewunderung und Respekt. Doch es scheint, die Medien finden Revolutionen toll, da muss man nicht mehr darüber nachdenken, wie Frauenrechte und Minderheiten repräsentiert und geschützt werden. Schon bei der Siegesfeier auf dem Tahrir-Platz bekam die Utopie vom gewaltfreien Miteinander von Männern und Frauen, Muslimen und Kopten einen Knacks, weil Männergruppen zuströmten, die Journalistinnen aus dem Ausland und Frauen bei dem Fest sexuell belästigt.

Gefahr der Abdrängung

 

Könnten die Frauen in Ägypten und Tunesien wieder abgedrängt werden, wenn es um den Aufbau einer neuen Gesellschaft geht.

Quistorp: Die Gefahr besteht jetzt auch wieder. So wie damals in Algerien nach dem Befreiungskampf oder nach der Revolte im Iran, die zwar maßgeblich von Frauen mitgetragen wurde, anschließend aber brutal unterdrückt wurden. Die lautstarken Forderungen der Frauen nach einer friedlichen Vereinigung aller waren in Tunis und Kairo wesentlich. Das jetzt im Wahlkampf weiter durchzuhalten wird eine schwere Aufgabe. Die neue gewaltfrei kreative Opposition ist kaum organisiert - im Unterschied zu den Muslimbrüdern und der alten Elite, die gewiss beide ihre Seilschaften einbringen und Geld haben. Daher müssen wir vor allem den Frauenrechtlerinnen den alten und jungen, zur Seite stehen und ihnen zuhören, sie hier in unseren Medien zu Wort kommen lassen.

Haben die Frauen zur Friedfertigkeit beigetragen?

Quistorp: Ja sicher, die meisten Frauen im Maghreb sind sehr friedliche Menschen. Frauen ziehen in gewalttätigen Massenbewegungen noch verstärkter den Kürzeren als ohnehin. Nicht nur deshalb insistieren sie überwiegend verstärkt auf Gewaltfreiheit. Ein gewaltfreier Raum ist immer einer, in den Frauen sich dann besser, auch mit ihren Kindern und Alltagspflichten beteiligen und ihre Kraft, Intelligenz und Anliegen einbringen können.

Frauendialog Europa-Maghreb

 

An dem vom Militär ernannten Komitee, das die Verfassung umschreiben soll, war jüngst keine einzige Frau beteiligt.

Quistorp: Das ist ein Rückschritt und ein Warnzeichen. Ich habe im Europäischen Parlament die Anhörung "Women for Transformation", zu deutsch: Frauen für den Wandel, angeregt. Die Veranstalterinnen haben diskutiert, wie die Europäische Union Frauenorganisationen vor Ort unterstützen können, um ihnen in den derzeitigen Reformdebatten auch zu der ihnen zustehenden Stimme zu verhelfen, einen Frauendialog Europa-Maghreb aufzubauen.

In vielen Medien heißt es, Frauen hätten sich "den Protesten angeschlossen". Dabei waren es Frauen wie insbesondere Asmaa Mahfouz, die die Widerstands-Bewegung in Ägypten mitgegründet und mit ihren Aufrufen im Internet den Umbruch entscheidend initiiert haben. Wie kommt es, dass Frauen so schnell wieder vergessen werden?

Quistorp: Die Mühe und Klugheit, die man braucht, um einen gewaltfreien Widerstand zu koordinieren, darf nicht unterschätzt werden, diese Arbeit wird in den Medien schwer sichtbar. Ich habe mich irre gefreut, von diesen Bloggerinnen zu hören und zu wissen, dass sie von älteren Frauen, Ärztinnen, Künstlerinnen, Rechtsanwältinnen unterstützt und auch angeregt wurden. Eine meiner alten Freundinnen aus Kairo, Nawal El Saadawi, gehört auch zu der Vorgeschichte der gewaltfreien Revolte. Sie wurde auch nicht in den Medien hier interviewt. Leider ist es in Ägypten wie bei uns: Viele wissen nicht von ihren Wegbereiterinnen.

Drastische Menschenrechtsverletzungen

 

Ägypten liegt weltweit an der Spitze, was die Verstümmelung der Genitalien von Frauen angeht. 96 % der damals zehn bis14 Jahre alten ägyptischen Mädchen hatten nach USAID-Angaben eine Genitalverstümmelung erlitten, auch solche aus gebildeten Kreisen. Warum hört man über diese drastischen Menschenrechtsverletzungen so wenig?

Quistorp: Wir müssen wohl zum Thema Frauengesundheit, reproduktive Rechte und gegen Genitalverstümmelung schnell ein Kooperations-Projekt auf die Beine stellen. Dann kann diese Gewalt gegen Mädchen, deren Folgen sie bis an ihr Lebensende belastet, endlich auch als ein Thema der Revolution gesehen werden - und als ein elementares Thema der Menschenrechte. Es ist zu hoffen, dass das Europaparlament und die Geldgeber das nicht verpassen und zu diesem Thema Nawal El Sadaawi zur Beratung einladen. Arabische Ölgeldgeber, die aus Dubai und Qatar ja auch mit Millionen oder wie die Saudis mit TV-Predigern bereit stehen, werden das kaum ändern. Ich hoffe, dass Al Jazeera dieses Thema so aufgreift, dass praktische Rechtsprechung und Beratung dagegen diesen Verbrechen an Mädchen und Frauen endlich ein Ende macht.

Was verstehen Sie alles unter Frauenrechten?

Quistorp: Mit Frauenrechten meine ich nie nur formale Rechte, sondern immer auch soziale und ökologische, die dann ja auch Pflichten sind, wenn man Frauenrechte mit Gemeinwohl und der Erhaltung der Global Commons verbindet. Wir haben schon in Rio de Janeiro bei der UN-Umweltkonferenz die Krisen im Bereich Wasser, Lebensmittel, Finanzkrisen, Kriege und Klimawandel vorhergesehen und von daher für mehr Entscheidungsmacht für Frauen in allen Dörfern und Regionen zur Erhaltung der Biodiversität, des Klimas, der sozialen Mindeststandards und eines einfachen Lebens, was die Welt nicht zerstört und
verkonsumiert, plädiert. Dazu haben wir sogar an UN-Dokumenten wie der Resolution 1325 mitgeschrieben, was bedeutet: Frauen an die Verhandlungstische. Frauenrechte weltweit sind nicht abzutrennen von den Fragen nach den Grenzen des Wachstums, den Grenzen der Handelsfreiheiten, den Grenzen des Konsums und den Grenzen des Ausverkaufs der Gemeingüter.

Mit welchen Hindernissen sehen sich die Frauenrechtsorganisationen derzeit konfrontiert, wie kann die EU diese Frauen unterstützen?

Quistorp: Die Hindernisse sind überall offene und verdeckte Männermachtbünde oder die Angst und mangelnde Solidarität der Frauen. Man einigte sich im Europaparlament darauf, konkret neue und auch kleine Frauenorganisationen der Opposition finanziell zu stützen. Wegen der jahrelangen Repressionen zuvor sind diese finanziell sehr schwach und verfügen oft noch nicht einmal über die einfachsten Möglichkeiten, effektiv Öffentlichkeitsarbeit zu organisieren, zum Beispiel auch jetzt im Wahlkampf bei der Parteiengründung.

Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge

 

Italien verlangte kürzlich zusätzlich 100 Millionen Euro zur Abwehr tunesischer Flüchtlinge, während die EU am selben Tag nicht mehr als 17 Millionen Euro zusätzliche Hilfen für Tunesiens demokratischen Wandel versprechen konnte. Ist das nicht zynisch?

Quistorp: Die Flüchtlinge, die kommen, brauchen kurzfristig humanitäre Hilfe, die Berlusconi verweigert hat. Doch alle von denen, die voraussichtlich noch kommen werden, können nicht aufgenommen werden. Daher müssen wir erst recht für eine Art ökosozialen Marshallplan für Nordafrika beziehungsweise eine ökosoziale Mittelmeerunion mit ausreichenden Grund- und Frauenrechten sorgen. Im Interesse der gewaltfreien Demokratiebewegungen und auch in unserem Interesse. Nur mit Fernsehbildern vom goldenen Westen zu erzählen, der für viele junge Männer dann aus Autos, Geld und freiem Sex besteht, oder aus guten Jobs, mit denen sie ihren Familien helfen können, wird denen, die ihr Land jetzt neu auf- und umbauen wollen, in den Rücken gefallen.

Wir brauchen einen nachhaltigen Tourismus für Tunesien und Ägypten, eine gute Bildungs- und Gesundheitspolitik, eine andere Wasser und Energiepolitik für den Maghreb. Also sofort Rüstungs- und Polizeiwaffenexporte stoppen, vor allem den Plan, Atomanlagen in Ägypten und Libyen von Areva durch Sarkozy zu verkaufen und so die Länder weiter in Schulden oder zur Atombombe zu treiben. Das Geld kann für tausende dezentrale Solaranlagen gebraucht werden und sollte viele Arbeitsplätze für Ingenieure und Ingenieurinnen, für Frauen in der Energie und Stadtsanierungspolitik schaffen.

Ihnen geht es darum, den Frauen zu helfen, ihre Rechte durchzusetzen und die Trennung von Staat und Religion zu erhalten. Worauf sollten Frauen beim Aufbau einer neuen Gesellschaft nun unbedingt bestehen?

Quistorp: Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Frauen sind Analphabetinnen und dürfen nicht heiraten, wen sie wollen. Das Erbrecht ist nicht gleichberechtigt. Wie sieht es mit Verhütungsmitteln, Kondomen, dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch aus? Wollen die Frauen wirklich alle so viele Kinder bekommen, die sie dann nicht ernähren, denen sie keine Zukunftschancen und Arbeit bieten können? Wie sieht es mit Kindergärten und Kinderbetreuung für berufstätige Frauen aus?

Die Frauenrechte, die wir in Europa erkämpft haben, gehören für mich zu einer stabilen sozialen Demokratie, zur Würde des Menschen. Sie sind aber ohne Kritik an Fundamentalismen und Rigidität und falschen Dogmen, egal welcher Religion oder Ideologie, nicht zu haben, Die internationale Solidarität der Frauen und Gewerkschaftsbewegungen ist jetzt 100 Jahre nach ihrer Gründung gerade für die Frauen im arabischen Frühling und in der grünen Bewegung des Iran gefragt. Wieso sollten die Frauen in den islamischen und Maghreb-Ländern nicht die gleichen Rechte haben wie wir?


Eva Quistorp gründete 1979 mit Petra Kelly und Joseph Beuys die Grünen und später das europäische Netzwerk "Frauen für den Frieden". Von 1989 bis 1994 reiste sie als Europaabgeordnete der Grünen zu Menschenrechtsgruppen in die Maghrebregion.