Abwarten und Unkraut zupfen im Transitbereich
Der Flughafen Frankfurt ist das Drehkreuz Deutschlands. Rund 53 Millionen Passagiere sind hier im Jahr 2010 aus- und umgestiegen. 552 von ihnen waren Flüchtlinge auf der Suche nach einer neuen Heimat: Sie hatten keine Pässe oder nur gefälschte Papiere bei sich und mussten deshalb übergangsweise in ein Flüchtlingswohnheim im Transitbereich des Flughafens ziehen. Ein Ort im Niemandsland, isoliert von der Außenwelt, unwirklich und voll von menschlichen Schicksalen.
28.02.2011
Von Anja Hübner

Ali sitzt an einem Holztisch, hinter ihm an der Wand hängen große bunte Bilder bemalt mit einem Zebra und einem Tukan. Im Fernsehen singt eine Sängerin auf tamilisch, neben Ali im Aufenthaltsraum sitzen ein Nigerianer und zwei Männer aus Sri-Lanka. Seit zwei Tagen ist er hier, der Tunesier, in der hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge am Frankfurter Flughafen. Ali ist geflohen vor den Ben-Ali-Gegnern in seinem Land, die er bespitzelt hat und die ihn nach dem Sturz des tunesischen Präsidenten töten wollen. Sagt er. Ob diese Geschichte stimmt und ob sie ihm zum Asyl in Deutschland verhelfen kann, entscheiden Beamte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge.

Rund 30 Flüchtlinge aus aller Welt wohnen momentan zwangsweise in dem Flüchtlingswohnheim im Transitbereich des Frankfurter Flughafens. Die meisten von ihnen kommen aus dem Iran, aus Afghanistan, Sri Lanka und aus afrikanischen Ländern, wie Eritrea. Sie alle haben ohne Pässe oder mit gefälschten Papieren vor den Passkontrolleuren am Flughafen gestanden und um Asyl gebeten. Nun sind sie eingesperrt in einem weißen Klotz fernab des Rollfelds, dicke Milchglasfenster verweigern ihnen dem Blick nach draußen. Sie spielen Schach, lesen Bücher, zupfen vor lauter Langeweile Unkraut im Innenhof oder liegen auf ihren Betten – und letztlich tun sie nichts als warten, fortwährend beschäftigt mit der Frage: Darf ich einreisen oder werde ich zurückgeschickt?

Eine alles entscheidende Anhörung

"Wir bewegen uns hier in einem Spannungverhältnis", meint Stefan Völkel vom Flüchtlingsdezernat des Landes Hessen. "Diese Menschen sagen, sie werden in ihrer Heimat verfolgt. Aber sie können sich nicht ausweisen und könnten 'Xyz' sein." Deshalb müssen die Flüchtlinge im Transitbereich abwarten, wie über sie entschieden wird. Das geschieht im so genannten Flughafenverfahren, einem beschleunigten Asylverfahren. Höchstens 23 Tage soll es laut Völkel dauern. In einer Anhörung müssen die Flüchtlinge ihre Fluchtgründe erläutern – die Grundlage für jede folgende Entscheidung.

"Es gibt Menschen, die sind schwer traumatisiert und fangen an zu weinen, wenn man sie etwas fragt", erzählt Can Atik (Bild unten/ Foto: Anika Kempf), evangelischer Mitarbeiter beim kirchlichen Flüchtlingsdienst, einer Kooperation der Diakonie und Caritas Frankfurt. Gemeinsam mit seinem katholischen Kollegen hat Atik ein Büro in der Erstaufnahmeeinrichtung und kümmert sich seit 16 Jahren um deren Bewohner. "Wir sind vor allem dafür da, den Menschen das Verfahren zu erklären und sie zu beraten", erklärt er. Vielen Flüchtlingen falle es schwer, über ihre Erlebnisse zu sprechen, wenn sie zum Beispiel gefoltert, vergewaltigt und mit dem Tode bedroht worden seien. "Doch es ist unglaublich wichtig, dass sie berichten, was sie erlebt haben, denn sonst werden sie vermutlich abgelehnt."

Von den rund 41.000 Asylanträgen, die im vergangenen Jahr in Deutschland gestellt wurden, kamen 552 von Flüchtlingen auf dem Frankfurter Flughafen. 504 von ihnen durften nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge den Transitbereich verlassen und offiziell einreisen. Vorerst. Ob sie bleiben können, steht damit noch nicht fest. 48 Anträge lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dagegen direkt ab. Die Fluchtgründe der Menschen wurden als "offensichtlich unbegründet" bewertet.

"Man hat ihnen nicht geglaubt"

In diesem Jahr zählen auch die Palästinenser Hosam und Hana zu den Abgewiesenen. "Man hat ihnen ihre Fluchtgeschichte nicht geglaubt", erklärt Atik. Hana trägt ein schwarzes Kopftuch, kunstvoll mit blauen Nadeln festgesteckt. Sie muss sich beherrschen, damit ihr keine Tränen in die Augen steigen. "Wir haben im Gaza-Streifen gelebt und uns der Fatah angeschlossen", berichtet ihr Mann Hosam. "Seitdem drohte uns die Hamas, dass sie uns umbringen wollen." Einem Bruder haben sie als Warnung ins Bein geschossen. Als die Angst zu groß wurde, seien sie letztlich durch einen Tunnel geflohen und mit Hilfe von Schleppern über Ägypten und Singapur nach Deutschland gekommen. Ihre Chancen, doch noch in Deutschland Schutz zu bekommen, stehen schlecht. Bis zum Bundesverfassungsgericht ist ein Rechtsanwalt mit dem Ehepaar gegangen, den Atik ihnen besorgt hatte. Ohne Erfolg.

Seit zwei Monaten lebt das Ehepaar nun in einem der 25 Zimmer im Wohnheim. Ihr Lebensumfeld ist begrenzt auf lange Gänge, einen Sportplatz im Innenhof und vier Gemeinschaftsräume. Insgesamt etwa halb so groß wie ein Fußballfeld, vorgesehen für bis zu 104 Menschen. Vorerst bleiben die beiden Palästinenser hier, bis entweder ihre Heimatbehörden ihnen neue Dokumente ausgestellt haben und ihre ersten Fluchtländer Ägypten oder Singapur sie aufnehmen oder bis der Haftrichter entscheidet, dass sie doch nach Deutschland einreisen dürfen. "Theoretisch bis zu 18 Monate könnten sie hier bleiben müssen", erklärt Atik.

Das Land Hessen ist offiziell für die "Unterbringung, Versorgung und Betreuung" der Flüchtlinge zuständig. "Wir versuchen alles, damit sich die Flüchtlinge hier so wohl wie möglich fühlen", sagt Völkel vom Flüchtlingsdezernat. "Natürlich fühlen sie sich nicht wohl, weil sie ja nach Deutschland einreisen möchten. Aber im Rahmen der Gesetze geben wir unser Bestes." Ein Sozialdienst kümmert sich um die Neuankömmlinge. Die Mitarbeiter geben ihnen Handtücher, Seife und spüren vermisstes Gepäck auf. Ein Arzt kommt zwei Mal in der Woche für eine Sprechstunde in das Wohnheim, bei besonders schwierigen Fällen konsultieren die Sozialarbeiter einen Psychotherapeuten.

Seelsorge im Niemandsland

Eine weitere psychologische Betreuung gibt es nicht. Deshalb bemüht sich der kirchliche Dienst auch um die seelsorgerische Unterstützung ihrer Verfahrensschützlinge. "Hier gibt es viel zu tun", betont Atik. Mit Hilfe von Spenden und Ehrenamtlichen versucht er so viel wie möglich für die Menschen zu tun. In Gebetsräumen, einem christlichen und einem muslimischen, können die Flüchtlinge Einkehr finden. Die häufigsten Bitten drehen sich wohl darum, diesen Ort mitten in Deutschland verlassen zu können - um nach Deutschland einreisen zu dürfen.

Zwar ist das weiße Gebäude im Niemandsland von außen unscheinbar, kein Stacheldraht verweist auf die Dramatik im Innern. Doch durchlebt hier jeder Flüchtling seine persönliche Ausnahmesituation: "Ich habe in Tunesien als Polizist gearbeitet, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen", erklärt der Tunesier Ali seine Lage. Nun verfolgten ihn die Unterstützer des neuen Regimes. Eigentlich wäre Ali lieber in seinem Heimatland geblieben: "Aber dort bin ich nicht mehr sicher." Auch die beiden Palästinenser haben Angst. "Wir wissen nicht, was passiert, wenn wir zurückgeschickt werden würden", sagt Hosam und fragt: "Müssen wir erst mit unseren Leichen beweisen, dass wir nicht gelogen haben?"

Nachtrag:
Der Tunesier Ali durfte vorerst nach Deutschland einreisen. Zwei Tage nach seiner Anhörung durch Beamte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge wurde er in die hessische Erstaufnahmeeinrichtung nach Gießen geschickt. Dort wird sein Asylantrag weiter geprüft.


Anja Hübner ist Mitarbeiterin bei evangelisch.de und freie Journalistin in Mainz und Frankfurt am Main.