Die Schätze der Tiefsee vor dem höchsten Gericht
Die Rohstoffe der Zukunft liegen im Meer. Rechtlich sind sie "gemeinsames Erbe der Menschheit". Doch längst streiten Staaten und Konzerne um die billionenschwere Erbschaft. Ein UN-Gericht in Hamburg soll es richten.
28.02.2011
Von Hermannus Pfeiffer

Sarah Zierul befürchtet ein neues Wettrüsten - auf dem Meer. "China und Vietnam gehen aufeinander los, Korea und Japan streiten um eine Insel und damit um den Meeresboden drum herum, die Küste vor Angola ist ein Zankapfel, zwischen Argentinien und Großbritannien droht ein neuer Streit um die Falklandinseln. USA und Kanada schicken Kanonenboote in die Arktis. Da braut sich einiges zusammen." Der Grund ist immer der gleiche: Rohstoffe tief am Meeresgrund, Gold, seltene Metalle und eiskalte Methangase. Ein billionenschwerer Schatz.

Die Schatzsuche wurde vor zwei Jahren erstmals ernst. Seitdem ragt unter dem Nordpol eine russische Flagge aus dem Meeresboden. Forscher waren mit zwei Mini-U-Booten unter der Eiskappe in 4.000 Meter Tiefe abgetaucht, um das Metall-Mahnmal aufzustellen. Russland will damit seinen Anspruch auf einen Großteil der Arktis und dessen Rohstoffe anzeigen. Ansprüche erheben ebenfalls Norwegen und Dänemark, Kanada und die USA.

Aber die Arktis bildet nur die Spitze des Eisberges. So geht es weltweit um die Förderung von Erdöl und Erdgas aus der Tiefsee. Bislang stammt erst ein Viertel der Öl-Förderung weltweit aus dem Meer. Doch wie im Golf von Mexiko, wo im April 2010 die Ölbohrplattform "Deepwater Horizon" unterging, wird meistens noch in Küstenregionen gefördert. Der Trend zielt jedoch immer weiter hinaus auf die hohe See.

Deutscher Claim im Pazifik

Weltweit warten dort noch andere Schätze. Geologen rechnen damit, dass über 10.000 Gigatonnen Methanhydrat im Meer lagern. Abgebaut könnten sie doppelt soviel Energie ergeben wie alle heute verfügbaren Lagerstätten von Kohl, Öl und Gas zusammen. Methanhydrate lagern als eisartige Brocken am Meeresboden und wurden im Atlantik und Indischen Ozean lokalisiert.

Unter dem Pazifik ruhen Manganknollen. Die kleinen, schwarzbraunen Knollen enthalten neben Mangan- und Eisenverbindungen wertvolle Industriemetalle wie Kupfer, Nickel und Kobalt. Der Marktwert der wertvollen Buntmetalle beträgt heute mehr als eine Billion Euro und, wichtiger noch, die maritimen Ressourcen könnten eines Tages den Weltbedarf auf lange Zeit decken.

Die Bundesrepublik hat, wie andere Industriestaaten auch, vor Hawaii einen riesengroßen Claim abgesteckt, größer als Bayern. "Das ist kein Planspiel auf dem Computer, sondern sehr konkret", sagt Buchautorin Zierul ("Der Kampf um die Tiefsee"). Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe schickt inzwischen zwei, drei Mal pro Jahr Expeditionen in den Pazifik.

Wem gehört das Meer?

Die "Schatztruhe Meer" weckt in vielen Staaten und Konzernen Begehrlichkeiten. Genau um diese Begehrlichkeiten dreht sich seit September alles im höchsten maritimen Gericht, dem Internationalen Seegerichtshof der Vereinten Nationen (ITLOS) in Hamburg. In dem ersten globalen Grundsatzverfahren sollte an der mondänen Elbchaussee geklärt werden, wer in welchem Umfang haftet, wenn ein Unfall das Meer verschmutzt. Der Göttinger Geologe Jürgen Schneider warnte bereits in den achtziger Jahren vor den ökologischen Folgen des Tiefseebergbaus und tut dies auch heute noch: "Die Umweltbelastungen sind vielfältig und weitgehend absehbar."

Ozeane bedecken 70 Prozent der Erdoberfläche. Doch wem gehört das Meer? Die hohe See und die in ihr ruhenden Ressourcen gelten seit dem 1994 geschlossenen Seerechtsübereinkommen (SRÜ) völkerrechtlich als "gemeinsames Erbe der Menschheit". Für den früheren amerikanischen Außenminister Henry Kissinger ist es das bedeutendste Abkommen in der Geschichte der Menschheit. Zumindest ist es die seitenstärkste Regelung in der UN. Trotzdem lässt es viele mögliche Fragen ungeklärt, die eines Tages der Seegerichtshof oder Machtpolitiker und ihre Militärs klären werden. Experten sehen mindestens 100 ungelöste Streitfälle zwischen Staaten auf die Weltgemeinschaft zurollen.

Staaten müssen sicherstellen, dass Konzerne dem Seerecht folgen

Der Präzedenzfall in Hamburg wurde Ende Januar erst einmal geregelt. Vor der Pazifikküste von Nauru will der kanadische Bergbaukonzern Nautilus Minerals bald in 5.000 Metern Wassertiefe Manganknollen abernten. Der UN-Seegerichtshof unter dem italienischen Richter Tullio Treves entschied gegen den Konzern und überraschenderweise auch gegen die Republik Nauru.

Nautilus Minerals haftet in jedem Fall, selbst wenn der Vertrag mit Nauru einen Haftungsausschluss vorsieht. So kann sich die Regierung eines Staates nicht einfach mit einer üppig entlohnten Freikarten-Konzession aus der Verantwortung stehlen, sondern ist dem "Vorsorgegrundsatz" verpflichtet und muss sicherstellen, dass der Bergbaukonzern die Regeln des internationalen Seerechts einhält.

Sind nationale Gesetze zu löcherig oder die Aufsicht zu nachlässig, haftet der Staat zukünftig für Schäden mit. Dieser Grundsatz gilt fortan für 148 Länder, die das internationale Seerecht und damit den UN-Gerichtshof anerkennen. Es fehlen die USA. Die Vereinigten Staaten sollen bereits 13 maritime Konzessionen nach wirtschaftsfreundlicherem amerikanischem Recht vergeben haben. Der Streit um die Tiefsee hat erst begonnen.


Hermannus Pfeiffer ist Wirtschaftsexperte und Journalist in Hamburg.