Vereinte Nationen verhängen Sanktionen gegen Libyen
Ihre Appelle stießen auf taube Ohren. Nun wollen die Vereinten Nationen den libyischen Diktator Muammar al-Gaddafi mit Sanktionen zur Räson zu bringen. Gleichzeitig soll ein internationales Gericht ermitteln, ob in Libyen Völkermord begangen wird. Auch die EU bereitet einen Boykott vor. Diktator Gaddafi zeigt sich unterdessen trotzig.

Der Weltsicherheitsrat bezog in der Nacht zum Sonntag geschlossen Position gegen das Regime von Muammar al-Gaddafi. Er verhängte ein uneingeschränktes Waffenembargo, Reiseverbote sowie das Einfrieren von Konten und anderem Vermögen. Betroffen von den Strafmaßnahmen sind Gaddafi, vier seiner Söhne, eine Tochter und zehn enge Vertraute. Sie werden für die brutalen Angriffe auf libysche Demonstranten mitverantwortlich gemacht.

Überraschend einigte sich das 15-Länder-Gremium auch darauf, den Internationalen Strafgerichtshof (IStGh) in Den Haag einzuschalten. Die für Kriegsverbrechen, Menschenrechtsvergehen und Völkermord zuständige Instanz wurde vom Sicherheitsrat ermächtigt, gegen die libysche Führungsriege zu ermitteln. Dass es gelang, den Widerstand mehrerer Ratsmitglieder zu diesem kritischen Punkt zu überwinden, war nach Informationen von Diplomaten vor allem Deutschlands Verdienst. Berlin hat seit Jahresbeginn einen Sitz in dem Entscheidungsgremium der Vereinten Nationen.

"Mit einer Stimme sprechen"

Der deutsche UN-Botschafter Peter Wittig nannte die Resolution nach der Verabschiedung "eine klare Warnung an alle, die flagrante Menschenrechtsverletzungen begehen: Straflosigkeit wird jetzt nicht mehr toleriert". Insofern habe die Resolution "weit über diesen Tag hinaus Bedeutung", sagte er. Bundesaußenminister Guido Westerwelle kommentierte den Konsens in New York mit den Worten, es gebe in der internationalen Gemeinschaft keinen Platz für jemanden, der seine eigenen Leute umbringt.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon betonte erneut, das Vorgehen gegen Zivilisten in Libyen sei nicht akzeptabel. Leider könne die Resolution allein nicht ein Ende der Gewalt und Unterdrückung herbeizaubern, "aber sie ist ein entscheidender Schritt, ein klarer Ausdruck des Willens der Staatengemeinschaft". Auch die amerikanische UN-Botschafterin Susan Rice war zufrieden. "Wenn Gräueltaten an unschuldigen Menschen begangen werden, muss die internationale Gemeinschaft mit einer Stimme sprechen. Das hat sie heute getan."

Rice verwies darauf, dass sich der Sicherheitsrat im Fall Libyen erstmals geschlossen an den Strafgerichtshof wende. Als das Gericht vor wenigen Jahren um Ermittlungen in der sudanesischen Krisenregion Darfur gebeten wurde, enthielt sich Washington im Sicherheitsrat noch der Stimme. Den Haag erhob seitdem Anklage gegen Sudans Präsidenten Omar al-Bashir und stellte einen internationalen Haftbefehl gegen ihn aus. Doch weder sein eigenes Land noch jene afrikanischen Staaten, die er hin und wieder besucht, haben ihn bisher ausgegliedert. Bashir lebt weiter auf freiem Fuß.

Ostteil in der Hand der Aufständischen

Gaddafi hält unterdessen weiter an seiner bröckelnden Macht fest. Loyale Milizen kontrollierten weiterhin die meisten Stadtteile in der Hauptstadt Tripolis, berichtete der arabische Fernsehsender Al-Dschasira am Sonntag. Eine Frau sagte in einem Telefongespräch: "Ich habe Angst auf die Straße zu gehen, weil ständig geschossen wird." Milizen würden Taschen, Ausweise und sogar die Mobiltelefone kontrollieren.

Dagegen ist der große Ostteil Libyens nach Angaben der Opposition in der Hand der Aufständischen. Der ehemalige libysche Justizminister Mustafa Abdul Dschalil will in Bengasi eine Übergangsregierung bilden. Obwohl die ehemaligen staatlichen Sicherheitsstrukturen in der zweitgrößten Stadt des Landes zusammengebrochen sind, ist die Lage nach Berichten von Einwohnern ruhig. "Das befreite Libyen ist stabil. Das zeigt, dass die Menschen das Land regieren können", sagte Awad al-Feituri vom libyschen Informationszentrum Al-Dschasira.

Allein in Bengasi sollen nach ersten Schätzungen mindestens 750 Menschen getötet worden sein. Die Zahl der Toten in ganz Libyen ist nach den Worten des stellvertretenden libyschen UN-Botschafters Ibrahim Dabbaschi auf weit über 1.000 angestiegen.

Konten des Gaddafi-Clans sollen gesperrt werden

Auch die EU will so schnell wie möglich Strafmaßnahmen gegen das gewalttätige Regime von Muammar al-Gaddafi ergreifen. Die europäische Staatengemeinschaft habe bereits mit der Vorbereitung von Sanktionen begonnen, dazu gehörten Kontensperrungen und Einreiseverbote für den Gaddafi-Clan sowie ein weitreichendes Waffenembargo, sagte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton am Sonntag in Brüssel. "Die Vorbereitungen kommen gut voran."

EU-Diplomaten erwarten, dass die 27 Mitgliedsstaaten bereits Anfang der Woche Sanktionen formal beschließen werden - die politische Weichenstellung war schon am Freitag erfolgt. Für solche Strafmaßnahmen ist grundsätzlich die Zustimmung aller EU-Staaten notwendig. Die EU hatte lange um eine gemeinsame Linie gerungen. Während Deutschland und Frankreich sich massiv für Sanktionen einsetzen, hatte vor allem Italien zunächst gebremst, weil es einen Massenansturm von Flüchtlingen fürchtet und von Energie-Lieferungen aus seiner ehemaligen Kolonie abhängig ist. Bereits vor einigen Tagen hatten die EU-Staaten ihre Waffenexporte nach Libyen gestoppt und Gespräche über ein Kooperationsabkommen auf Eis gelegt.

"Die EU unterstützt die UN-Resolution voll und ganz", sagte Ashton und betonte, sie sei im engen Kontakt mit den UN und den USA. Unterdessen setzt die EU ihre humanitäre Hilfe für Flüchtlinge aus Libyen und die Evakuierung von europäischen Staatsbürgern fort. "Wir koordinieren die Rückholaktionen, auch auf konsularischer Ebene", sagte Ashton. Die EU hat drei Millionen Euro Soforthilfe bereitgestellt.

dpa