Brutale Gewalt in Libyen - Sanktionen angekündigt
Angesichts der dramatischen Lage in Libyen will die internationale Staatengemeinschaft den zum letzten entschlossenen Staatschef Muammar al-Gaddafi in die Knie zwingen. Gut eine Woche nach Ausbruch der Revolte verständigten sich die EU-Mitglieder auf ein Sanktionspaket. Geplant sind ein Waffenembargo und ein Lieferverbot für Güter, die zur Repression eingesetzt werden, verlautete am Freitag aus dem Auswärtigen Amt in Berlin. Die Vermögen der Herrscherfamilie sollen eingefroren, Einreisesperren gegen den Clan verhängt werden. Der in die Enge getriebene Gaddafi lässt unterdessen in Tripolis auf Demonstranten schießen.

Auch UN-Sanktionen gegen das Regime in Libyen werden immer wahrscheinlicher. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wollte am Freitagabend zum dritten Mal innerhalb von vier Tagen zu einem Krisentreffen zusammentreten und über den Schutz der Zivilisten beraten. In Genf tagte der UN-Menschenrechtsrat über einen Ausschluss Libyens. "Nach einigen Quellen könnten Tausende (in Libyen) getötet oder verletzt worden sein", sagte UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay.

NATO will nicht militärisch eingreifen

Auch die NATO schaltete sich mit einem Sondertreffen der 28 NATO-Staaten in Brüssel in die Libyen-Krise ein. Ein unmittelbares militärisches Handeln der Allianz sei nicht geplant, sagten Diplomaten. Das Bündnis könnte aber koordinieren, beispielsweise bei Evakuierungsaktionen.

Während die Menschen in Ostlibyen am Freitag die "Befreiung" ihrer Region feierten, schossen Soldaten in anderen Städten im Westen des Landes auf Demonstranten. Im Stadtzentrum der Hauptstadt Tripolis eröffneten sie das Feuer auf eine Gruppe von etwa 500 Demonstranten, wobei nach einem BBC-Bericht mindestens ein Mensch ums Leben kam. Eine etwa doppelt so große Gruppe von Gaddafi-Anhängern versammelte sich kurz darauf auf dem Grünen Platz.

"Marsch der Millionen" bleibt aus

Ein von libyschen Aktivisten angekündigter "Marsch der Millionen" aus allen "befreiten" Städten auf Tripolis blieb zunächst aus. Ein Polizeioffizier in Bengasi sagte, einige Bewohner hätten sich auf den Weg in die Hauptstadt gemacht, um dort für den Sturz Gaddafis zu demonstrieren. Allein in Bengasi, wo die von Gaddafi befehligten Truppen nicht mehr präsent sind, sollen während der Unruhen der vergangenen Tage etwa 500 Menschen getötet worden sein.

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sagte am Freitag nach Beratungen mit den EU-Verteidigungsministern auf Schloss Gödöllo bei Budapest: "Ich bin zuversichtlich, dass die Europäische Union restriktive Maßnahmen verhängen wird." Es müsse gewährleistet werden, "dass so viel Druck wie möglich aufgebaut wird, um die Gewalt in Libyen zu beenden". Ihr komme es darauf an, dass Sanktionen sofort wirkten und mit anderen Partnern wie den USA oder den Vereinten Nationen koordiniert würden. Bisher bremste vor allem Italien bei einer Bestrafung Gaddafis.

Bundesregierung drängt auf Waffenembargo

Die Bundesregierung pocht hingegen auf Sanktionen. Außenminister Guido Westerwelle forderte ein generelles Waffenembargo. "Die Zeit der Appelle ist vorbei, jetzt wird gehandelt", betonte der FDP-Vorsitzende in Berlin.

Den Bundeswehreinsatz mit Kriegsschiffen und Transportflugzeugen vor Libyens Küste will Westerwelle nicht als Drohkulisse gegen Gaddafi verstanden wissen. Der Einsatz diene "ausschließlich dem Zweck, unsere Staatsangehörigen außer Landes zu bringen", sagte der Außenminister im Deutschlandfunk. Zur Unterstützung ist die Deutsche Marine mit drei Fregatten im Mittelmeer unterwegs. Zudem stehen zwei Transall-Maschinen der Bundeswehr auf Malta bereit. Derzeit sitzen noch etwa 160 Deutsche in dem nordafrikanischen Land fest.

Noch immer 3.600 EU-Bürger in Libyen

Seit Tagen bemühen sich zahlreiche Staaten der Welt, ihre Bürger in Sicherheit zu bringen. Am Freitag hielten sich nach Angaben der EU-Kommission in Brüssel nur noch 3.600 Menschen mit europäischem Pass in dem Krisenstaat auf. Seit dem Beginn der Unruhen seien bereits 3.400 EU-Bürger aus dem Land gebracht worden.

Die Türkei will ihre festsitzenden Staatsbürger notfalls mit gezielten Militäreinsätzen herausholen, berichtete die türkische Tageszeitung "Bugün". Von zunächst rund 25.000 Türken in Libyen hat Ankara bisher etwa 7.500 herausgeholt. Vier Fregatten der türkischen Marine schützen den Einsatz. China beorderte die Fregatte "Xuzhou" in das Mittelmeer, um beim Abtransport tausender Chinesen aus Libyen zu helfen. Indien will ab Samstag tausende Landsleute mit Sondermaschinen aus Libyen ausfliegen.

Regime reagiert mit äußerster Brutalität

Die Gaddafi verbliebenen Truppen gehen weiterhin äußerst brutal gegen Regimegegner vor. Ausländer, die in der Stadt Misrata festsitzen, sagten der Nachrichtenagentur dpa am Telefon: "Es gibt große Protestaktionen, und wir hören immer wieder Schüsse." In einer weiteren per Telefon eingespielten Fernsehansprache hatte Gaddafi das Terrornetz Al-Kaida für die Unruhen in seinem Land verantwortlich gemacht.

Ein Polizist in der nordostlibyschen Stadt Al-Baidha sagte der dpa, dass Aufständische dort 200 Söldner getötet hätten. Den ausländischen Soldaten seien vom Gaddafi-Regime 12.000 Dollar für jeden getöteten Demonstranten versprochen worden.

Angst vor Giftgasbeständen

Gaddafi-Gegner sind besorgt über chemische Waffen im Besitz des libyschen Regimes. Der Anfang der Woche zurückgetretene libysche Justizminister Mustafa Abdel Galil sagte im Sender Al-Dschasira, dass Gaddafi nicht zögern werde, sie einzusetzen. Vor allem dann nicht, wenn die Hauptstadt Tripolis bedroht sei. "Wenn er zum Schluss wirklich unter Druck steht, ist er zu allem fähig. Gaddafi wird nur verbrannte Erde hinterlassen."

Libyen soll über Senfgas-Bestände verfügen. Etwa 10 Tonnen des Kampfstoffes sollen sich in den Arsenalen der Streitkräfte befinden, sagte Peter Caril, Experte für Massenvernichtungswaffen bei der amerikanischen Arms Control Association, dem US-Sender CNN. Das meiste davon werde in einer Anlage südlich von Tripolis vermutet.

Ägypter fordern Bestrafung Mubaraks

Einen Monat nach dem Beginn der Massenproteste gegen Husni Mubarak in Ägypten haben Zehntausende auf dem Tahrir-Platz in Kairo eine Bestrafung der Funktionäre des alten Regimes gefordert. "Mubarak, wir wollen unser Geld" und "Das Volk will einen Prozess gegen den Präsidenten", riefen die Demonstranten. Der Ex-Präsident hatte sich am 11. Februar in den Badeort Scharm el Scheich abgesetzt.

In Jordanien verlangten mehr als 5000 Demonstranten auch nach den jüngsten Zugeständnissen von König Abdullah II. politische Reformen. Nach dem Freitagsgebet zogen die Oppositionsanhänger geschützt von der Polizei durch die Hauptstadt, wie Augenzeugen berichteten. Sie hätten auch Sprechchöre zur Unterstützung der Aufständischen in Libyen gerufen.

dpa