Gundlach zu Graf: "Schwarzsehen ist überzogen"
In der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) stoßen die kirchenkritischen Thesen des Theologen Friedrich Wilhelm Graf auf Widerspruch. Das ständige Schwarzsehen in Grafs Buch "Kirchendämmerung" sei völlig überzogen, sagte der Vizepräsident des EKD-Kirchenamtes, Thies Gundlach, in einem epd-Gespräch. "Natürlich, die Kirche ist nicht so ideal wie sie sein sollte." Zwar fänden sich für die Vorwürfe Belege in den Kirchen, aber es finde sich auch das Gegenteil. "Es gibt sehr gute Pfarrerinnen und Pfarrer, es gibt gelungene Sprache, es gibt ethisch überzeugende Stellungnahmen", argumentiert der EKD-Theologe.
24.02.2011
Die Fragen stellte Rainer Clos

Friedrich Wilhelm Graf schreibt über die "Kirchendämmerung". In der Oper von Richard Wagner geht es um "Götterdämmerung". Hat Graf eigentlich das richtige Thema vor Augen?

Thies Gundlach: Wer ist in diesem Stück Hagen und wer Siegfried? Der Protestantismus hat sich immer dadurch ausgezeichnet, dass er in seinen eigenen Reihen die schärfsten Kritiker hervorgebracht hat. Darauf kann man auch stolz sein. Grafs Philippika aber geht in meinen Augen am Kern vorbei: Wir haben eine "Krise des Gottesbewusstseins", um mit Kategorien der liberalen Theologie zu reden, und es gehört selbst zur Trivialisierung des Evangeliums, wenn man alle Austrittszahlen und alle Relevanzverluste auf schlechte Prediger zurückführt. Etwas mehr Theologie hätte man sich schon gewünscht von einem so klugen Menschen. Aber Graf bleibt seit Jahren stecken bei der Kritik an der Institution, was man auch daran erkennt, dass das Buch zumeist ältere Arbeiten versammelt.

Sind die sieben Untugenden, die Graf der Kirche vorhält, falsch beobachtet?

Gundlach: Nein, man findet für jeden dieser Vorwürfe Belege in unseren Kirchen. Aber man findet auch immer das Gegenteil: Es gibt sehr gute Pfarrerinnen und Pfarrer, es gibt gelungene Sprache, es gibt ethisch überzeugende Stellungnahmen, und es gibt natürlich bei den allermeisten Pfarrern eine hohe Wertschätzung der Demokratie. Dieses ständige Schwarzsehen ist doch völlig überzogen: Natürlich, die Kirche ist nicht so ideal wie sie sein sollte. Doch gehört es nicht zu den von Graf selbst oft kritisierten Argumentationsmustern des Protestantismus, das, was real existiert, sturmreif zu schießen durch die Orientierung an abstrakten Idealen?

Der Papst kommt nach Deutschland. Die evangelischen Christen feiern in Dresden einen Kirchentag. Sind Nachrufe auf die christlichen Kirchen angebracht?

Grundlach: Natürlich nicht! Aber solche Events können auch ein Pfeifen im dunklen Wald sein, und sie können nicht Grundtrends der Gegenwart korrigieren. Mit Nekrologen auf die Kirche wäre ich vorsichtig: Der Kirche ist - ebenso wie der Religion - schon so oft das Ende angekündigt worden, und es gibt sie immer noch. Und die bildungsbürgerliche Attitüde des Herabsehens auf den jeweiligen Kirchenzustand ist ja auch nicht gerade neu.

Friedrich Wilhelm Graf rügt, in der evangelischen Kirche gebe es einen Trend zur Moralisierung und zur Trivialisierung der christlichen Botschaft. Was halten Sie ihm entgegen?

Grundlach: Diese Gefahr wird ja von vielen gesehen; aber es gilt zugleich das Sprüchlein: Je weiter rechts man steht, desto mehr Linke gibt es - und umgekehrt. Gibt man also die Rolle des "Moralapostels der Libertinage", weil man jede ethische Positionierung schon für Anmaßung hält, ist man natürlich umzingelt von Moralisten. Und gibt man den Überflieger-Professor, ist man schnell eingekreist von Trivialitäten. Schaut man aber genau hin, dann findet man immer auch überzeugende Gemeindearbeit, hohe Nachdenklichkeit bei moralischen Positionierungen und gehaltvolle Theologie.

Im Zentrum aller Reformbemühungen muss der theologisch kompetente Gemeindepfarrer stehen, empfiehlt Graf in seiner Streitschrift. Ist Wachstum gegen den Trend, wie es die EKD in "Kirche der Freiheit" propagiert, eine Schimäre?

Gundlach: Es ist mir schwer verständlich, warum Graf nicht sehen kann, dass viele der von ihm angesprochenen Kritikpunkte auch von vielen anderen Personen in der Kirche angesprochen werden, allerdings in einer ganz anderen Tonlage. So hat beispielsweise das Reformpapier "Kirche der Freiheit" ebenfalls von "Beruf der Pfarrerinnen und Pfarrer als Schlüsselberuf" geschrieben. Und ein Wachsen gegen den Trend ist erst einmal eine Herausforderung, die sowohl inhaltlich wie organisatorisch mit dem Auftrag zur Evangeliumsverkündigung zu tun hat. Aber solange Graf in dieser so larmoyant wirkenden Tonlage über seine Kirche und ihre Theologie schreibt, wird er kein Gehör finden. Das ist auch schade, denn kritische Diskurse haben noch keiner Institution geschadet, Verrisse aber sind wirkungslos. 

epd