Russlands Synagogen punkten mit Bildung
Synagogen in Russland sind Kulturzentren. Genau das macht sie so attraktiv. Hier können Juden für wenig Geld lernen, wie bestimmte Computerprogramme funktionieren und wie sie sich mit Yoga entspannen können. Und freilich können sie auch lernen, was es heißt, jüdisch zu sein.
22.02.2011
Von Ann-Dorit Boy

Das jüdische Gemeindezentrum im Norden von Moskau (Foto unten) ist eine Art Volkshochschule der Luxusklasse. Wer die Sicherheitskontrolle überwunden hat, kann sich auf imposanten sechs Etagen bilden und entspannen. Es gibt Sprachkurse, Computerkurse, Fotografieklassen, Yoga und diverse Sportarten. Selbstverständlich ist auch auch Hebräischunterricht im Angebot. An diesem Sonntagnachmittag sitzen fünf erwachsene Sprachschüler im Klassenraum und entziffern schon recht flüssig eine hebräische Zeitungsmeldung.

Elena, 49, mit dem dunklen Pagenkopf, lernt mit Pausen seit sechs Jahren. Angefangen hat die Werbetexterin, als sie noch dachte, dass sie einmal nach Israel auswandern würde. Wadim, 39, ein Geschäftsmann, hat diesen Traum noch nicht aufgegeben - und Michail, ein 34-jähriger Arzt, ist nach drei Jahren aus dem gelobten Land zurückgekommen, weil er Sehnsucht nach der Heimat hatte. Nun geht er zum Hebräischkurs, um seine Sprachkenntnisse nicht zu verlieren.

Rückkehr statt Auswanderung

Nach der großen Auswanderungswelle russischer Juden in den 1990er Jahren kommen inzwischen mehr und mehr zurück nach Russland. Diejenigen, die wie Elena und Wadim noch von einem Leben in Israel träumen, tun dies nicht mehr, wie noch vor einigen Jahren, aus wirtschaftlichen Gründen. "Ich verdiene inzwischen so gut in Russland, dass es keinen praktischen Grund mehr gibt zu gehen", sagt Elena. Um trotzdem in der jüdischen Gemeinschaft zu leben, Traditionen und die hebräische Sprache zu pflegen, komme sie nun eben hierher.

Wie viele Juden heute in Russland leben, kann niemand genau sagen. Das israelische Statistikamt vermutet auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion rund 200.000 Juden. Berl Lazar, der oberste Rabbiner des Landes, geht von zwei Millionen Juden allein in Russland aus. Allerdings nimmt nur ein Bruchteil der jüdischen Bevölkerung Russlands aktiv am Gemeindeleben teil. "Höchstens ein Drittel der Juden in Russland interessiert sich für uns", sagt Andrej Glotser, Pressesprecher des obersten Rabbiners. Und vielleicht ein Zehntel besuche regelmäßig die Synagogen und Gemeindezentren.

Verlorenes jüdisches Bewusstsein

Die Juden wieder für die Gemeinde zu gewinnen, die in Jahrzehnten der Sowjetunion ihre jüdische Identität verloren haben, sei die schwierigste Aufgabe, klagt Glotser. Die Gemeinde schickt regelmäßig zwei Rabbiner mit einem Wohnwagen an die Metrostationen in der Moskauer Innenstadt, um Passanten anzusprechen. Das breite Bildungs- und Freizeitangebot der Gemeindezentren ist ein anderes Mittel, um junge und alte Menschen anzulocken.

Die inzwischen 46 Synagogen und 70 Gemeindezentren in Russland werden mit Sponsorengeldern großer und mittlerer Unternehmen finanziert. Größter Einzelsponsor ist der jüdischstämmige Oligarch Roman Abramowitsch. Die Abhängigkeit von der Wirtschaft bekam die Gemeinde im Krisenjahr 2008 zu spüren, als ein Drittel des Budgets plötzlich wegbrach. Vor der Krise waren die Sprachkurse kostenlos, heute müssen die Schüler einen kleinen Beitrag zahlen.

Finanznot bremst Programme gegen Fremdenfeindlichkeit

Der geplante Bau eines "Museums für jüdische Geschichte und Toleranz" in der russischen Hauptstadt wurde bis auf weiteres wegen Finanzierungsproblemen verschoben. In einem Gebäude des legendären Architekten Konstantin Melnikow soll eines der größten jüdischen Museen der Welt errichtet werden. "Das Projekt liegt uns besonders am Herzen, weil es zu unserem Bildungsprogramm gegen Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit gehört", betont Glotser.

Seit vor vier Jahren ein rechtsextremer junger Mann in der Moskauer Synagoge mehrere Menschen niederstach, stehen stets schwer bewaffnete Sicherheitsleute vor den Türen. Auch die jüngsten ausländerfeindlichen Ausschreitungen in der russischen Hauptstadt machen der jüdischen Gemeinde Sorgen. Zwar habe die Aggression gegen muslimische Gastarbeiter aus dem Kaukasus und Zentralasien den Antisemitismus etwas verdrängt, sagt Glotser. Aber das sei natürlich kein Grund zur Freude.

epd