Aus den Trümmern dringen Schreie der Eingeschlossenen
Schwere Zerstörungen hat das Erdbeben in der Innenstadt von Christchurch hinterlassen. Die Einwohner sind schockiert. 65 Menschen starben, Dutzende wurden unter den Trümmern eingeschlossen. Sie beschreiben Szenen wie im Krieg.
22.02.2011
Von Ian Llewellyn, Sid Astbury und Christiane Oelrich

Vom Turm der über 100 Jahre alten Kathedrale der Stadt ist nur ein Trümmerhaufen übrig geblieben. Die Ruine steht als trauriges Symbol der Verwüstung da, die das Erdbeben am Dienstag in der neuseeländischen Stadt angerichtet hat. Bis spät in der Nacht drangen die Schreie von Eingeschlossenen aus dem Trümmern, sagten Augenzeugen.

Schockiert erzählten Einwohner und Besucher von dem Moment am Dienstag um 12.51 Uhr Ortszeit, als der Boden so gewaltig wackelte. Die Deutsche Sabine Cook war im Auto unterwegs und fühlte sich "wie von einem Riesen gepackt - man verliert völlig die Gewalt". "Es war unbeschreiblich!", sagte sie der Nachrichtenagentur dpa. Sie sah weitreichende Zerstörung. "Kamine sind auf die Straßen gestürzt. Schaufensterscheiben waren kaputt und das Glas lag auf der Straße, Mauern waren eingestürzt und Zäune platt", sagte sie. "Die Zerstörung ist unbeschreiblich."

Als hätte die Abrissbirne zugeschlagen - so erlebte der australische Arzt David Malouf das Beben in einem Hotel. "Das ganze Gebäude schwankte gewaltig, und der Lärm war unglaublich", sagte Malouf heimischen Medien. "Es war, als rausche ein Düsenjet vorbei." Cook sah die gewaltige Zerstörung mit eigenen Augen - zersplitterte Fensterscheiben, beschädigte Gebäude, schreiende Menschen auf der Straße. Sie hat die Nase voll. "Wenn wir die beiden Hunde nicht hätten, wären wir im ersten Flieger, sobald der Flughafen wieder aufmacht", sagte sie der Nachrichtenagentur dpa.

Samt Besprechungsraum abgestürzt

Pip Ramby überlebte den Horror, obwohl sie im 7. Stock war und das Bürogebäude um sie herum einstürzte. "Wir waren zu zehnt in einem Besprechungsraum, als es passierte", sagte sie Radio Neuseeland. "Zur Tür zu kommen war unmöglich, und wir verloren alle die Orientierung. Als es aufhörte zu wackeln und einer rausschaute, stellten wir fest, dass das Gebäude eingestürzt war. Wir waren praktisch im Erdgeschoss." Tobi Emery entkam gleich zweimal, wie er im Fernsehen berichtete. Erst saß er sechs Stunden im eingestürzten Warteraum einer Arztpraxis fest, dann, kurz bevor die Rettung nahte, brach auch noch Feuer aus. Emery entkam trotz heftiger Rauchentwicklung gerade noch rechtzeitig.

Die Australierin Anne Voss hatte weniger Glück. Sie hechtete unter ihren Schreibtisch im schwer beschädigten Pyne-Gould-Gebäude, bevor die Decke ihres Büro einstürzte. Mit einer Hand bediente sie ihr Handy, rief zuerst den Sohn und dann den australischen Fernsehsender Seven an. "Ich bin eingeklemmt", sagte sie mit wackliger Stimme. "Ich kann die anderen schreien hören, aber ich komme nicht raus, ich kann mich kaum bewegen." Die Reporter versicherten ihr, Hilfe sei auf dem Weg. "Gott sei Dank", sagte Voss.

Menschen im Fernsehgebäude eingeschlossen

Im Fernsehgebäude waren am Abend vermutlich noch 50 Menschen eingeschlossen. Aus dem eingeknickten Gebäude riefen spät in der Nacht noch Eingeschlossenen und machten sich mit Klopfzeichen bemerkbar, sagten Augenzeugen. 200 Helfer waren dort im Einsatz, um ihnen zu helfen. Die Retter stellten sich auf grausame Funde ein: In der Nähe wurde bereits ein provisorisches Zelt zur Aufbahrung der Toten aufgestellt. Helfer waren mit Baggern und Kränen im Einsatz, um Eingeschlossenen zu helfen. Nach einer ersten Bilanz von Bürgermeister Bob Parker konnten 120 Menschen gerettet werden. Mehr als 100 wurden gegen Mitternacht (Ortszeit) aber noch in den Trümmern vermutet. "Es könnte die dunkelste Stunde Neuseelands sein", warnte Regierungschef John Key.

Die Behörden konnten keine Angaben über ausländische Opfer machen. Es sei leider zu erwarten, dass Touristen und ausländische Studenten betroffen seien, sagte English. "Die Menschen sitzen auf der Straße und halten die Köpfe in den Händen", sagte Key. "Dies ist ein Land in tiefem Schmerz." Große Sorge gab es um eine Gruppe japanischer Studenten, die in Christchurch in einer Cafeteria saßen, als das Erdbeben passierte. Neun wurden nach Berichten aus Japan gerettet, während zu zwölf Studenten kein Kontakt hergestellt werden konnte.

Eine Stadt ohne Wasser und Strom

Noch in der Nacht sollten mehr als 50 Erdbeben erprobte Helfer mit Spürhunden in Christchurch eintreffen. "Hier kämpfen Menschen ums Überleben, aber es gibt auch viele, die ihr eigenes Leben für sie aufs Spiel setzen", sagte Bürgermeister Bob Parker. Für viele der eingeschlossenen Opfer sollte es eine lange Nacht im Ungewissen werden. Rund 80 Prozent der Stadt waren zeitweise ohne Strom. Auch die Wasserversorgung brach zusammen. "Wenn es regnet, bitte Wasser in Eimern sammeln", riet das Amt für Zivilverteidigung.

Es handelt sich um eines der folgenschwersten Erdbeben in Neuseelands Geschichte. 1931 kamen bei einem 7,9-Beben in der Hawke-Bucht 256 Menschen ums Leben. Die Folgen waren so verheerend, weil das Beben sich nur fünf Kilometer unter der Erdoberfläche ereignete und das Epizentrum nur zehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt lag. Christchurch war erst im vergangenen September von einem 7,1-Beben erschüttert worden. Damals war das Epizentrum aber 30 Kilometer entfernt, und der Erdstoß passierte am frühen Morgen, als nur wenig Menschen in der Stadt unterwegs waren. Nur ein Mensch starb an einem Herzanfall. Die Wiederaufbaukosten wurden auf vier Milliarden neuseeländische Dollar (2,2 Milliarden Euro) geschätzt.

dpa