"Winnenden ist zu einem Synonym geworden. Es steht nicht mehr für eine schwäbische Kleinstadt in der Nähe Stuttgarts, für friedfertige, fleißige, brave Menschen, sondern für ein Verbrechen, das als Amoklauf bezeichnet wird." So schreibt Jochen Kalka, Journalist und Autor des Buches "Winnenden - Ein Amoklauf und seine Folgen" über die Stadt, in der er mit seiner Familie lebt. Auf knapp 240 Seiten beschreibt der 1964 geborene Kalka, wie Angehörige, Nachbarn und Schüler mit dem Schock umgehen und fragt, wie es zu diesem Massaker mit 16 Toten am 11. März 2009 kommen konnte.
Im Werbetext des Verlags wird von einem "persönlichen Buch mit politischer Stoßrichtung" gesprochen, einem Psychogramm einer Stadt, die gezeichnet ist von dem erschütternden Ereignis. Tatsächlich ist das Buch jedoch fast durchgehend eine einzige Schelte auf die Kollegen, jene Journalisten, die damals vor Ort waren und die über die schreckliche Tat berichtet haben. "Nervöse, nässende Schüler sind für die Medien kein Thema. Natürlich nicht", schreibt Kalka verbittert. Und er fragt sich weiter: "In Erinnerung sind die Opfer. Aber müssen diese Erinnerungen mit den Medien geteilt werden?"
Medienschelte und eine Stadt im Schockzustand
Auf all denjenigen Seiten im Buch, die nicht der Medienschelte zum Opfer fallen, schildert Kalka durchaus eindringlich die Starre in der Stadt; den Schockzustand auch noch viele Monate nach dem Amoklauf, den verzweifelten Versuch der Menschen in Winnenden, zur Normalität zurückzukehren und Vertrauen aufzubauen. Auch die Schützenvereine und deren Berechtigung werden unter die Lupe genommen und Kalka fragt sich, ob tatsächlich "die überwiegende Mehrheit der Schützen vertrauensvoll mit Waffen umgeht". Den Täter Tim K. nennt der Autor dabei niemals mit Namen und vermeidet eine allzu persönliche Analyse des Täterprofils.
Am Ende gibt Kalka in seinem Nachwort zu, könne man all das, was er seinen Journalisten-Kollegen vorwerfe, auch ihm unterstellen; schließlich sei aus seinen Eindrücken, die er während eines Jahres in den Straßen der Kleinstadt gesammelt habe, nun auch ein Buch entstanden. Doch bei allem Schrecklichem, was der Stadt Winnenden widerfahren sei, habe sich seit dem Amoklauf auch etwas zum Positiven verändert. "Es hat sich ein unglaublich starkes Wir-Gefühl gebildet. Wenn man spazieren geht, grüßen sich jetzt immer alle Menschen, das war vorher nicht so." Das sei doch wenigstens etwas.