In ihrem Alltag ist sie gezwungen, einen Decknamen zu tragen. Zurzeit nennt sie sich Berfin Tokat. Die Familie ihres Ehemanns ist auf der Suche nach ihr und würde sie wahrscheinlich töten, wenn sie wüsste, wo sie sich befindet. Das Mädchen sollte mit 16 zwangsverheiratet werden. Berfin wehrte sich, ging dann doch eine Ehe ein - und flüchtete vor ihrem gewalttätigen Mann. Heute ist sie 18 Jahre alt und lebt weit weg von ihrem Familienclan.
Problem Zwangsehe: Die Frauen-Hilfsorganisation Terre des Femmes geht davon aus, dass sich in Deutschland jährlich mehr als 1.000 Frauen und Mädchen aus Migrantenfamilien deswegen an Beratungsstellen wenden. Wie viele Opfer es tatsächlich gibt, weiß niemand genau. Die Bundesregierung will nun mit mehreren Maßnahmen gegen Zwangsheirat und Scheinehen vorgehen. Entsprechende Gesetzesänderungen werden derzeit im Bundestag beraten. Kritiker halten von den Plänen aber wenig - auch Terre des Femmes ist skeptisch.
Unfreiwillige Eheschließung soll eigener Straftatbestand werden
Die schwarz-gelbe Koalition will, dass die Anstiftung zur unfreiwilligen Eheschließung ein eigener Straftatbestand wird. Bislang wird darin schwere Nötigung gesehen. An dem heute schon möglichen Strafmaß von maximal fünf Jahren Haft soll sich nichts ändern. "Diese Umbenennung ist reine Symbolpolitik und wird wohl kaum einen Täter mehr abschrecken", wetterte daher der Grünen-Politiker Mehmet Kilic bei der ersten Lesung im Januar im Bundestag.
Die Bundesregierung argumentiert hingegen, ein eigener Straftatbestand könne abschreckende Wirkung haben. "Den Eltern und Familienangehörigen muss ausdrücklich die kriminelle Dimension solchen Tuns klar sein", meint der FDP-Politiker Hartfrid Wolff. Terre des Femmes sieht das ähnlich: "Das ist ein Zeichen für die Betroffenen und deren Eltern, dass Zwangsheiraten in Deutschland verboten sind", sagt Fachbereichsleiterin Sibylle Schreiber.
Scheinehen aufdecken
Weitaus stärkere Kritik ernten die Pläne, die so genannte Ehebestandszeit zu verlängern. Bislang erhalten Ausländer, die zu ihrem deutschen Ehepartner in die Bundesrepublik ziehen, nach zwei Jahren eine eigene Aufenthaltserlaubnis. Künftig soll dies erst nach drei Jahren möglich sein. "Dadurch wird der Anreiz, eine Scheinehe einzugehen, verringert", argumentiert der parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Ole Schröder (CDU). "Auch die Möglichkeit der Aufdeckung von Scheinehen wird erheblich gesteigert."
Terre des Femmes hält diese Pläne für fatal. "Es gibt schon heute genug Möglichkeiten, Scheinehen zu überprüfen", meint Schreiber. Sie vermutet, dass die Bundesregierung diese Maßnahme ergreift, um die Zuwanderung von Ausländern zu begrenzen. Für die betroffenen Frauen bedeute dies, dass sie ein Jahr länger in der Ehe ausharren müssten, wenn sie keine Abschiebung riskieren wollen. In Härtefällen - zum Beispiel bei massiver Gewalt in der Ehe - ist dies zwar auch schon eher möglich. "Aber um das nachzuweisen, sind Atteste nötig", sagt Schreiber. Häufig schämten sich die Frauen aber und schwiegen.
Terre des Femmes hält die geplanten Änderungen insgesamt für nicht ausreichend, um Mädchen und Frauen vor Zwangsheiraten zu schützen. "Es bleibt noch viel zu tun", heißt es in einer Stellungnahme. Die Linke im Bundestag fordert, lieber die Beratungangebote auszubauen.
Heiraten, um die Familienehre zu bereinigen
Berfin Tokat fiel aus allen Wolken, als sie erfuhr, dass sie heiraten sollte. Sie wurde frei erzogen: ausgehen mit Freunden war erlaubt und sie konnte sich kleiden wie sie wollte. "Deshalb war ich geschockt, als meine Eltern mir während eines gemeinsamen Türkeiurlaubs sagten, ich müsse jetzt meinen Cousin heiraten, um die Familienehre zu bereinigen", erzählt Berfin.
Die junge Frau konnte sich nach Deutschland retten und heiratete das vermeintlich kleinere Übel - einen komplett Fremden, den sie sich selber ausgesucht hatte, damit sie nicht ihren Cousin heiraten muss. Der Ehemann entpuppte sich als gewalttätiger Tyrann und misshandelte die junge Frau schwer. Wieder musste sie fliehen.
Berfin ist zwar nach dem Versuch, sie unter Zwang zu verheiraten, enttäuscht von ihrer Familie. In nächster Zeit hat sie aber wieder vor, ihre Eltern und Geschwister zu Hause zu besuchen. "Ich war wütend, weil sie mich zu etwas zwingen wollten. Aber für sie gehörte sich das so, dass man verheiratet wird unter Verwandten. Das kennen sie aus ihrer Kultur, bei ihnen wurde das auch so gemacht."