Missbrauchsopfer der Odenwaldschule sind enttäuscht
Beim Sex-Skandal an der Odenwaldschule war viel von Aufarbeitung und Wiedergutmachung die Rede. Das Elite-Internat wollte ein Beispiel geben. Ein Jahr später äußern sich Opfer enttäuscht. Die Schule sieht das anders.
21.02.2011
Von Joachim Baier

Als vor einem Jahr der Missbrauchsskandal an der renommierten Odenwaldschule mit inzwischen mehr als 130 Opfern hochkochte, bat Leiterin Margarita Kaufmann in aller Öffentlichkeit unter Tränen um Vergebung. Ein radikaler Neuanfang wurde angekündigt. "Es ist leider nicht so viel passiert wie man sich das erhofft hat", kritisiert Michael Frenzel. Der Anwalt stand mit Vorstandssprecher Johannes von Dohnanyi ein turbulentes halbes Jahr lang als Erneuerer an der Spitze des Elite-Internats im südhessischen Heppenheim, bis beide entnervt aufgaben. "Heute gibt es viele Kleingeister, die die Odenwaldschule mit einem Karnickelverein verwechseln", sagt Frenzel.

"Wir setzen bescheidene, aber wirksame Akzente"

Die Kritik will der Schulvorstand nicht stehen lassen. "Wir setzen bescheidene, aber wirksame Akzente", sagt das für Kommunikation zuständige Mitglied Philip von Gleichen. Immerhin liege ein umfangreicher Abschlussbericht vor. Das Thema werde nicht unter der Decke gehalten. Es habe viele personelle Veränderungen gegeben. "Die Aufarbeitung hat begonnen."

Die meist schon Jahrzehnte zurückliegenden sexuellen Übergriffe von Lehrern stürzten die Reformschule - hier lernten der Schriftsteller Klaus Mann und der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit - Anfang März 2010 ins Chaos. Es folgte ein Hauen und Stechen.

Zwei Mal wurde die Vorstandsspitze ausgetauscht, öffentlich über Schuld und Sühne diskutiert, Offenheit versprochen, Gerichtsverfahren angestrengt. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen etwa ein Dutzend Lehrer, stellte die Verfahren aber meist wegen Verjährung ein. Der Missbrauch ereignete sich hauptsächlich in den Jahren 1965 bis 1985.

"Wir warten immer noch auf eine Art von Sühnezeichen"

Frenzel und von Dohnanyi wollten den Opfern mit einer ersten Zahlung von 100.000 Euro zügig helfen. Inzwischen hat sich die Schule entschlossen, dies mit einer Stiftung zu tun. Dahinter stehe eine überwältigende Mehrheit von Mitarbeitern, Elternbeiräten und ehemaligen Schülern. "Wir reden von einer langfristigen Stiftung, die kontinuierlich Geld reinholt", sagt von Gleichen. Auch hier sei aller Anfang schwer. "Wenn Sie eine Pflanze pflanzen, dann pflanzen Sie auch erst einmal nur einen Kern."

Ex-Vorstandschef Frenzel spricht von "einer Katastrophe." Eine Stiftung benötige zum einen ein gewisses Grundkapital, zum anderen könnten nur die Zinsen verwendet werden. "Da kann ich das Geld besser gleich an den Opfer-Verein "Glasbrechen" auszahlen."

"Glasbrechen"-Vorsitzender Adrian Koerfer zeigt sich ungeduldig. "Wir warten immer noch auf eine Art von Sühnezeichen in Form eines manifesten Geldbetrages", sagt der ehemalige Schüler. "Im Laufe des vergangenen Jahres ist viel zu wenig passiert." Opfer-Anwalt Thorsten Kahl drückt es noch etwas deutlicher aus: "Ich bin entrüstet über die Verlogenheit." Auch er hat mehr erwartet. "Nach einem Gespräch mit Schulleiterin Kaufmann vor einem Jahr hatte ich noch gehofft, dass sich etwas tun würde."

dpa