Freiwillig: Einen Menschen betreuen
2011 ist das EU-Jahr der Freiwilligentätigkeit unter dem Motto: "Freiwillig. Etwas bewegen!" Die EU stellt rund acht Millionen Euro zur Verfügung. Davon entfallen auf Deutschland 420.000 Euro, das Bundesfamilienministerium legt etwa 590.000 Euro drauf. Von dem Geld werden Projekte und Tagungen finanziert. Die deutsche Kampagne wird am Montag mit einer Fachtagung zum Ehrenamt in Berlin offiziell eröffnet. Deutschland will im Jahr der Freiwilligentätigkeit erreichen, dass sich die öffentliche Aufmerksamkeit für bürgerschaftliches Engagement erhöht. Ein Beispiel: 1,3 Millionen Menschen werden in Deutschland rechtlich betreut. Das übernehmen zum Teil Ehrenamtler wie Jens Melzner.
20.02.2011
Von Beatrice Blank

Jens Melzner lebt in Hamburg. Für die 83-jährige Gerda Weißgerber ist er Finanzmanager, Büroorganisator und Vertrauter. Die alte Dame hat sich schick gemacht für den Besuch. Ihre blauen Augen blitzen unter akkurat frisierten grauen Löckchen hervor. "Ich habe immer Angst, wenn etwas Neues auf mich zukommt", sagt sie und wirkt etwas unsicher. Wenn Jens Melzner bei ihr klingelt, macht sie das aber nicht mehr nervös. Der 62-jährige Ehrenamtler ist seit zwei Monaten ihr vom Gericht bestellter Betreuer.

Melzner (Foto links: epd-Bild / Beatrice Blank ) regelt die finanziellen Angelegenheiten. "Einkaufen und kochen und waschen und die Wohnung in Schuss halten, das mache ich alles alleine", sagt die Seniorin bestimmt. Um die ganzen Briefe von der Sparkasse, der Rentenkasse oder der GEZ kümmere sich indes Herr Melzner: "Das ist ein ganz Netter, dem kann ich alles anvertrauen."

Nach Angaben des Bundesverbandes der Berufsbetreuer steigt der Anteil der ehrenamtlichen Betreuer, die keine Familienangehörigen sind. 2009 übernahmen sie knapp 5,5 Prozent der in Deutschland anhängigen 1,3 Millionen Betreuungsverfahren. Sie springen ein, wenn ältere, körperlich eingeschränkte oder demente Menschen keine Angehörigen mehr haben, die für sie finanzielle Fragen oder Behördenangelegenheiten regeln können.

Betreuungsverein brachte die beiden zusammen

Heute braucht Melzner dringend Frau Weißgerbers Rentenbescheid. Er versucht, sie von den Rundfunkgebühren zu befreien. Gerade mal 853 Euro Rente bekommt sie. Mehr als die Hälfte davon muss sie als Miete für ihre Zwei-Zimmer-Wohnung bezahlen, dann Strom, Lebensmittel, Medikamentenzuzahlungen. Viel bleibt nicht übrig.

Nachdem Gerda Weißgerber einen Schlaganfall hatte, brauchte sie Hilfe. Das Hamburger Betreuungsgericht setzte deshalb eine rechtliche Betreuung ein. Der Betreuungsverein Hamburg Nord, einer von bundesweit 814 anerkannten Betreuungsvereinen, hat Jens Melzner mit Gerda Weißgerber zusammengebracht.

"Als Verein beraten, betreuen und vermitteln wir", sagt Gert Rich vom Betreuungsverein Hamburg Nord. Er beobachtet einen steigenden Bedarf an Menschen, die sich wie Herr Melzner engagieren. Zum einen steigt die Zahl der Betreuungen in Deutschland insgesamt stetig: Seit 1995 (625.000 Betreuungsverfahren) hat sie sich bis Ende 2009 auf 1,3 Millionen Verfahren verdoppelt.

Melzer: "Andere spenden Geld - das ist mein Beitrag"

Außerdem gibt das Betreuungsgesetz Ehrenamtlichen und Angehörigen den Vorzug vor Hauptberuflichen. Wann immer möglich, sollen Ehepartner, Kinder, Enkel oder engagierte Bürger sich kümmern. Ehrenamtliche leisten in Deutschland mit knapp 65 Prozent das Gros der Betreuungsarbeit, die allermeisten von ihnen sind Angehörige. Außerdem gibt es Berufsbetreuer in Vereinen, von Behörden oder als Freiberufler. Sie übernehmen zeitlich aufwendigere und kompliziertere Fälle. Die Pflichten, allen voran die Sorgfaltspflicht, sind aber für alle Betreuer gleich. "Das ist schon eine große Verantwortung", sagt Jens Melzner. Zurzeit hat er vier Betreuungen. Für seinen Aufwand erhält er eine Entschädigung.

Gerda Weißgerber kramt schon seit ein paar Minuten in ihrem Sekretär nach dem Rentenbescheid. Melzner wartet geduldig. Schließlich findet die Seniorin das Papier. "Sehr gut", lobt Melzner. Er kann jetzt alle nötigen Formulare ausfüllen. Der Betreuer hat in zehn Jahren schon Dutzenden geholfen. Gesellschaftliches Engagement ist ein Muss, findet Melzner: "Andere spenden Geld - das ist mein Beitrag."

epd