Dresden: Der Polizei fehlen die Worte
Dresden hat sich erneut den Neonazis entgegengestellt und deren Marsch verhindert. Der Protest war aber von massiver Gewalt überschattet: Mindestens 82 Polizisten wurden verletzt. Die Polizei schwankt zwischen Zufriedenheit und Verständnislosigkeit.

Brennende Barrikaden, fliegende Pflastersteine und Eisenstangen: Bei den schweren Krawallen am Rande der Neonazi-Demonstration in Dresden sind am Samstag mindestens 82 Polizisten verletzt worden, davon sieben schwer. Die Polizei zeigte sich am Sonntag erschüttert von der Brutalität, mit der Rechts- und Linksextreme gegen Polizisten vorgingen. Mit Protesten und Blockaden verhinderten tausende Menschen am Samstag wie schon im Vorjahr einen genehmigten Aufmarsch von Rechtsextremen.

Nach Polizeiangaben wurden Beamte bei ihrem Einsatz mit Steinen, Stangen und Feuerwerkskörpern angegriffen. Zudem brannten Barrikaden. Mindestens ein dutzend Autos wurde beschädigt, in einem Bürogebäude gingen Scheiben zu Bruch. Autonome stapelten Sperrmüll auf Fahrbahnen und zündeten ihn an. Die Polizei ging gegen Randalierer auch mit Schlagstöcken, Reizgas und Wasserwerfern vor. 78 Personen kamen in polizeilichen Gewahrsam. Nach einer ersten Bilanz wurden 64 Anzeigen unter anderem wegen Landfriedensbruchs, Sachbeschädigung und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte aufgenommen.

Die Polizei hatte ursprünglich eine strikte Trennung der politischen Lager beiderseits der Elbe angekündigt. Viele Gegendemonstranten umgingen oder durchbrachen aber die Polizeisperren und versammelten sich am Ort der geplanten Naziveranstaltungen. Unter anderem verließen sie ihre Busse bereits vor den Polizeikontrollen am Stadtrand und kamen auf anderem Weg in die Stadt.

Arbeitsgruppe sprach von überforderter Polizei

Die geplante Marschroute der Neonazis wurden so von mehren hundert Menschen blockiert. Auf eine Räumung verzichtete die Polizei. Nach Aussagen von Hanitsch wären damit zwei Hundertschaften stundenlang beschäftigt gewesen. In die friedliche Sitzblockade hatten sich auch zahlreiche Politiker der Linken, Grünen und SPD eingereiht.

Laut Polizei waren am Ende rund 3000 Neonazis an verschiedenen Orten in Dresden unterwegs, darunter 1000 Gewaltbereite. Ihnen standen rund 12 500 Demonstranten direkt gegenüber, unter ihnen rund 3500 Linksextreme. Die Polizei bildet eine Sonderkommission, um die Ermittlungen zu beschleunigen. Sachsens Innenstaatssekretär Michael Wilhelm forderte Konsequenzen und kündigte ein Symposium zu diesen Fragen an.

Der Dresdner Polizeipräsident Hanitsch sagte am Sonntag, ihm fehlten angesichts der ausufernden Gewalt die Worte: "Ich schwanke zwischen großer Zufriedenheit und Verständnislosigkeit." Die Gewalt sei von Rechts- und Linksextremisten gleichermaßen ausgegangen. Es sei gelungen, die politischen Lager konsequent voneinander zu trennen. Zu einem anderen Urteil kam eine Arbeitsgruppe "Polizeibeobachtung" mit Landtags- und Bundestagsabgeordneten von SPD, Grünen, Linkspartei sowie mehreren Rechtsanwälten. Sie sprach von "überforderten Polizeieinheiten". Das aggressive Vorgehen von Beamten habe zu zahlreichen Eskalationen geführt, hieß es.

Staatssekretär: "99,9 Prozent friedliche Leute"

Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) forderte eine öffentliche Debatte über den Umgang mit Naziaufmärschen und Gegendemonstrationen. Innenstaatssekretär Wilhelm forderte eine Fortschreibung des "Wunsiedel"-Urteils. 2009 hatte das Bundesverfassungsgericht Aufmärsche von Neonazis am Geburtstag von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß verboten. Eine Einschränkung des Demonstrationsrechtes lehnte er aber ab. Wilhelm machte klar, dass eigentlich nur ein geringer Teil der Demonstranten gewaltbereit sei. "Wir haben 99,9 Prozent friedliche Leute, aber auch 0,1 Prozent, die einfach auf Krawall aus sind und sich bei den Friedlichen mit verstecken."

Nach übereinstimmenden Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Bündnisses "Dresden - Nazifrei" beteiligten sich insgesamt mehr als 21 000 Menschen an Mahnwachen und Protesten. Jedes Jahr marschieren in Dresden am Jahrestag der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg Neonazis auf. Bereits am vergangenen Sonntag kamen knapp 1300 Rechtsextreme an die Elbe.
 

dpa/epd