Dresden für Frieden und Gerechtigkeit
"Diese Stadt hat Nazis satt" riefen die Gegendemonstranten an der S-Bahn Plauen am frühen Abend den Rechtsextremen hinterher. Beim Hautbahnhof in Dresden schallte den Rechten schon am Mittag dieser Satz entgegen. Am Samstag verhinderten über 20.000 Gegendemonstranten erneut in der Stadt an der Elbe den europaweit größten Neonaziaufmarsch.
20.02.2011
Von Andreas Speit

Bereits vor einem Jahr war der von der "Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland" (JLO) verantwortete und von der "Nationaldemokratischen Partei Deutschland" (NPD) mitgetragene "Trauermarsch" anlässlich der Bombardierung der Stadt am 13. Februar 1945 an breiten Massenblockaden gescheitert. Die Stadtoberen und die Demonstranten wollten nicht mehr hinnehmen, dass die Rechtsextremen in den Straßen der Stadt alleine an die "Deutschen Opfer" erinnerten und die vermeintlichen "Verbrechern der Alliierten" anprangerten. Mehr als 6.000 Rechtsextreme mussten stundenlang am Bahnhof Neustadt ausharren, statt zu marschieren. "Kehrt marsch" wies die Polizei später die Rechten an. Verbittert und verärgert zogen sie ab. 2011 ist aber nicht 2010.

Laut und bunt, lustig und vielfältig protestierten nördlich vom Bahnhof den ganzen Tag über tausenden von Demonstranten. "Geht denken" stand auf einen selbstgemalten Schild. Luftballons flogen durch die Luft, auf der Straße wurde auch einfach mal getanzt. Eine Menschenkette gelang. Nahe des hingen Transparente an den Gebäuden: Mit ein und der selbem Botschaft: "Nazis - Nein Danke".

Protest der Kirchen wurde wahrgenommen

Das breite Bündnis "Dresden Nazifrei" hatte zu dem Protest aufgerufen. Seit vergangenem Jahr wird das Bündnis von vielen zivilgesellschaftlichen Projekten und antifaschistischen Initiativen, Gewerkschaften und Kirchen und auch aus Politik und Kultur getragen. Bereits am vergangen Sonntag führten friedliche Massenproteste zu einer Verkürzung eines Marsches von 1.600 Rechtesextreme, den die JLO auch verantwortet. Für diesen Samstag hatten die Kirchen über 50 Mahnwachen angemeldet. Ein Zeichen, das die NPD sehr wohl wahrnahm. "Diese Gutmenschen mit ihren Glauben", schimpfte ein älteres Parteimitglied bei einer der drei genehmigten Veranstaltungen der Rechtsextremen.

Bei einer Mahnwache sagte die Thüringer Bundestagsabgeordnete Katrin Göring-Eckardt (Foto links: epd-Bild / Steffen Giersch), Dresden müsse frei bleiben von brauner Tyrannei. Das sei ein Auftrag für Christen, so die Grünen-Politikerin, die auch Präsidentin des Deutschen Evangelischen Kirchentages ist. Er findet Anfang Juni in Dresden statt. In der Stadt müssten Menschen Platz haben, die für Frieden und Gerechtigkeit stünden, sagte Göring-Eckhardt.

Viele Bundes- und Landespolitiker hatten zu friedlichen Protesten gegen die Neonazi-Veranstaltungen aufgerufen. "Es muss absolut friedlich ausgehen", sagte Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Thierse (SPD). Er sei gekommen, weil der Protest nicht allein Sache der Dresdner, sondern aller Demokraten sei. Zugleich kritisierte er die Entscheidungen des Gerichts, drei Neonazi-Demonstrationen an einem Tag zu genehmigen. Es entstehe der problematische Eindruck, dass das Demonstrationsrecht der Neonazis höher bewertet werde als das der Demokraten, sagt Thierse.

Erschwerter Polizeieinsatz

Diese Entscheidung des Dresdner Verwaltungsgerichtes erschwerte der Polizei den Einsatz.
Vor Gericht misslangen die Bemühungen der Stadt die drei rechten Veranstaltungen zu einer Kundgebung zusammen zu legen. Am Samstag versuchte die Polizei Gegendemonstranten und Rechtsextreme weiträumig zu trennen. In der Südvorstadt sollten die Veranstaltung der JLO und NPD stattfinden. Am Vormittag wurde in dem Stadtteil südlich vom Bahnhof schnell sichtbar, dass das Polizeikonzept scheitert.

Um 12.00 waren an die 400 Rechtsextreme am Hauptbahnhof versammelt, wurde jedoch schon mit Parolen "Keiner will euch hier" empfangen. Die Straßen hoch knapp 20 Minuten entfernt standen an die 50 Rechtsextreme auf dem Nürnberger-Platz hinter Polizeigittern. Hier sollte ihre große Kundgebung stattfinden, die grüne Wiese an der Straßenecke war weit abgesperrt. An den Sperren standen jedoch mehrere tausende Gegendemonstranten, einigen von ihnen gerieten mit der Polizei aneinander. Steine flogen von Autonomen, die Polizei setzte Pfefferspray ein. Barrikaden brannten, Wasserwerfer wurden eingesetzt. Das Fernhalten des Gegenprotestes aus dem Stadtteil war gänzlich gescheitert.

Auf dem Weg zwischen Bahnhof und Nürnberger-Platz konnten Demonstranten eine größere Menschenblockade bilden, die friedlich die Neonaziroute besetzte. Am späten Nachmittag drohte die Situation fast gänzlich zu eskalieren: Zu Fuß versuchten an die 1.000 Rechtsextreme, unter ihnen der NPD-Landtagsfraktionsvorsitzende Udo Voigt aus Mecklenburg-Vorpommern und der NPD-Landtagsfraktionschef Holger Apfel, zu ihren Veranstaltungsort zu gelangen. Am F.-C. Weiskopfplatz griffen Rechtsextreme Beamte an und versuchten durchzubrechen, um alleine weiter marschieren zu können. Auf den Straßen um den Platz standen aber auch viele Gegendemonstranten – sehr viele.

Rechte durften in Leipzig nicht aussteigen

Hektisch versuchte der Polizeieinsatzleiter, weitere Einsatzkräfte zum Platz herzubeordern. Er befürchtete, dass es zur offenen Straßenschlacht kommen könnte. Mit Mühe konnten die Polizei die Rechten stoppen und vor Ort halten. Erst nach Stunden waren sie bereit, in ihre nicht weit entfernten Busse zu steigen. Allerdings nicht alle: Mehrere hundert Rechtsextreme konnten, angeführt vom dem NPD-Bundesvorstandsmitglied Thomas Wulff, skandieren "Bei Demokraten helfen nur Granaten." Sie marschierten zum S-Bahnhof Plauen, um von dort wegzufahren. Am Hauptbahnhof befand sich zu diesem Zeitpunkt schon die andere rechtsextreme Gruppe im Zug nach Leipzig. Dort gelang es der Polizei aber gleich, einen Aufmarsch zu unterbinden. Wegen "polizeilichen Notstandes" durften die Rechten nicht aussteigen.

Mehr als 80 Beamte wurden verletzt, bilanzierte die Polizei am Sonntag. Etwa 50 Demonstranten vorwiegend aus dem linken Spektrum seien wegen Körperverletzung, Widerstandes gegen Polizeibeamte oder Vermummung vorübergehend in Gewahrsam genommen worden, hieß es am Abend. Auch auf Seiten der Demonstranten soll es Verletzte gegeben haben. Am Abend stürmte die Polizei das Büro des Bündnisses. Dieser Tag wird Dresden noch tagelang beschäftigen. 


Andreas Speit ist freier Journalist in Hamburg und Buchautor zum Thema Rechtsextremismus.