Hat Lena eigentlich X-Beine? Eigentlich ist das ein völlig unwichtiges Detail. Aber an einem solchen Abend, an dem sich alles nur um eine Sängerin und ihren Präsidenten, äh, Produzenten geht, fallen einem eben auch solche Details ins Auge. Vielleicht ist es aber auch genau die Tatsache, dass Lena auf der Bühne immer den Eindruck macht, gleich umzufallen, die sie so sympathisch macht.
Denn auch wenn unsere Sanges-Europameisterin in den zehn Monaten zwischen Oslo und jetzt einiges an Medienprofessionalität gewonnen hat: Es macht immer noch Spaß, ihr zuzuschauen, weil sie ganz offensichtlich immer noch Spaß an der ganzen Sache hat.
Und den brauchte sie auch, denn das Finale von "Unser Song für Deutschland" war mit über zwei Stunden ziemlich lang. Die Entscheidung von ARD und Raab, erst sechs Songs und dann noch mal die besten beiden Lieder singen zu lassen, war klassisches Zeitspiel. "Ich weiß gar nicht, wie ich die Sendung ohne Werbepause überstehen soll", kommentierte ein sichtlich zufriedener Stefan Raab zu Beginn der Sendung.
Raab und Opdenhövel: Dominantes Duo der Abendshow
Trotzdem hat die Länge der Show nicht geschadet. Denn Lena gelingt es einfach, ihren unverwechselbaren Stil gut auf die Bühne und die Mattscheibe zu zaubern. Die Zeit dazwischen füllten Stefan Raab als selbsternannter "Jury-Präsident", seine Mitjuroren Barbara Schöneberger und Adel Tawil (die männliche Hälfte des Pop-Duos "Ich + Ich") und die beiden Ansager Matthias Opdenhövel und Sabine Heinrich. Opdenhövel und Raab kennen sich schon länger aus dem Privatfernsehen, und zwischen den beiden stimmt die Chemie.
Bester Moment: Relativ zu Beginn der Show, noch vor dem ersten Lied, blickten sich beide vielsagend an, als Raab "Top, die Wette gilt" als Motto für den Eurovision Song Contest 2013 ausrief. Es war der Moment, in dem beide Männer klar machten: Wir haben die Unterhaltungshoheit in diesem Land, im Privatfernsehen und mindestens hier und jetzt auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
Da war Barbara Schöneberger ein gutes gebührenfinanziertes Gegengewicht für die beiden ironischen Männer aus dem Privatfernsehen, auch wenn sie gegenüber Chefjuror Raab wenig Redeanteile bekam. Aber schön, dass die ARD von Stefan Raab zu lernen scheint, dass man sich nicht immer selbst so ganz ernst nehmen muss. Sonst hätten die Aufpasser des Ersten den Satz "Deutschland holt die Fahnen aus dem Keller, die nationale Aufgabe geht weiter" nie durchgehen lassen.
"Der ESC ist ein musikalisches Gemetzel"
Das mit der Lockerheit hätten sie Opdenhövels Mitmoderatorin Sabine Heinrich vielleicht auch noch sagen sollen. In ihrer schwarzen Baderobe wirkte die Moderatorin hölzern und fehl am Platz. Wenn Opdenhövel – "schnallen sie sich an, hier wird ein Spannungsbogen aufgebaut" – mit der Jury schäkerte, war das unterhaltsam. Spaßbremse Sabine Heinrich wurde mit keinem der drei Juroren auf der drehbaren Sesselbank richtig warm. An Opdenhövels Mischung aus Ernsthaftigkeit, ironischer Distanz und Humor, die den ESC einfach auszeichnet, kam Heinrich einfach nicht ran.
Aber gesungen wurde natürlich auch, deswegen waren ja alle da. Künstlerisch lieferte Lena (inzwischen auch eine Frau ohne Nachname) ein unterhaltsames, souveränes und zum Teil richtig gutes Programm ab. Zwischen der flockigen Popnummer "Maybe" – Lena: "wie 'ne Wolke!" – und dem stimmlich anspruchsvollen "A Million And One" – Lena: "Fängt smooth an, und irgendwann geht voll die Sonne auf!" – war es eine unterhaltsame Show, Lena wie immer in verschiedenen schwarzen Outfits. Am Ende durfte aber nur eines der sechs Stücke nach Düsseldorf, und Stefan Raab betonte, es müsse eines sein, dass sich wirklich abhebt vom Rest. Denn: "Der ESC ist ein unglaubliches musikalisches Gemetzel", und nach Ralph Siegel weiß er es wohl am besten.
Ein verdienter Sieger mit einem treibenden Beat
Schließlich wählte das Publikum zwei interessante Lieder in das abschließende Liederduell: "Push Forward", eine eingängige Ballade, die Barbara Schöneberger eigener Aussage zufolge "sogar privat hören" würde. Und "Taken By A Stranger", das drängende, mysteriöse Stück, das schon im zweiten Halbfinale für viel Aufmerksamkeit sorgte. Nicht umsonst hatten Stefan Raab und die ARD "Taken By A Stranger" ans Ende der sechs Lieder gesetzt, und sei es nur, damit Raab immer wieder sagen durfte: "Mein Favorit kommt noch."
Wenig überraschend, aber verdient, setzte sich dieser Favorit am Ende auch durch. 79 Prozent der abstimmenden Zuschauer entschieden sich für "Taken By A Stranger". Ein treibender Beat, eine geheimnisvolle Melodie, ein Text voll Whisky, Rauch und unerfüllten Versprechungen – mit diesem Lied könnte Lena es schaffen, die Millionen vor den Fernsehern in einen atemlosen Bann zu schlagen. Raab hatte sich den richtigen Favoriten ausgesucht: "Die Nummer hat das gewisse Etwas", schwärmte Raab, hatte aber sonst Schwierigkeiten, eine gute Beschreibung für das Lied zu finden: "Die Nummer ist in dem Umfeld des ESC ungefähr so, wie wenn man eine Wasserbombe in eine Oma-Bridge-Runde reinwirft!"
Auch Lena selbst freute sich über das Ergebnis. "Vielen, vielen Dank!", verabschiedete sich die liebenswerte Sanges-Europameisterin, nachdem sie "Taken By A Stranger" zum dritten Mal an dem Abend singen durfte. "Und das werdet ihr noch so oft hören! Ist das nicht schön?" Ja, Lena, ist es. Viel Erfolg in Düsseldorf!
Hanno Terbuyken ist Redakteur bei evangelisch.de und schreibt das Blog "Angezockt".