Eigentlich erstaunlich: Die Nachricht, dass das Gefangenlager Guantánamo doch nicht geschlossen wird, lässt die Amerikaner kalt. Keine Schlagzeile, keine Empörung - es scheint, als habe sich das Land längst daran gewöhnt.
Er sehe "offen gestanden die Aussichten, dass Guantánamo geschlossen wird, bestenfalls als sehr, sehr gering ein", gab Verteidigungsminister Robert Gates ganz unbefangen vor einem Kongressausschuss zu Protokoll. So offen hatte das noch niemand zugegeben. Eine Schlappe für Barack Obama - aber eine, die ihm die Amerikaner nicht übel anrechnen.
Gut gemeint, aber völlig verkalkuliert
Guantánamo - von Anfang an war das Lager auf dem US-Militärstützpunkt auf Kuba ein Kreuz. "Sie sind die Übelsten der Übelsten", sagte ein hoher Offizier, als im Januar 2002 die ersten mutmaßlichen Al-Kaida-Kämpfer und Taliban aus Afghanistan eingeflogen wurden. "Das wird keine nette Karibiktour", höhnte ein CNN-Reporter. Doch selbst Amnesty International musste damals eingestehen, dass die meisten Amerikaner keine Kritik anmeldeten - der Schock der Anschläge vom 11. September war noch allzu gegenwärtig.
Ein 28 Kilometer langer Grenzzaun mit 44 Wachtürmen trennt Guantánamo-Bay vom Rest der kommunistischen Insel. Zeitweise saßen 750 Terrorverdächtige ein - die ersten wurden in Drahtverschlägen mit Metalldächern untergebracht. Das Verteidigungsministerium genehmigte "härtere Verhörmethoden". "Amnesty" meinte, ein Viertel aller Insassen seien nachweislich unschuldig. Die halbe Welt war empört.
Obama hat es gut gemeint - doch tatsächlich hat sich der US-Präsident bei kaum einem anderen Thema derart verkalkuliert wie bei Guantánamo. Schon im Wahlkampf hatte er vollmundig das rasche Aus für das weltweit geächtete Lager verkündet. Zwei Tage nach Amtsbeginn, es war am 22. Januar 2009, unterschrieb er die präsidiale Anordnung, den "Schandfleck" innerhalb eines Jahres zu beseitigen.
Die Botschaft war medienwirksam und symbolträchtig: Die dunklen Zeiten der Bush-Regierung sind vorbei. Ein neues, menschlicheres Amerika zeigt sein Gesicht. Die Welt jubelte.
NIemand will die Insassen bei sich zu Hause
Doch tatsächlich hat Obama die Sache schlecht vorbereitet. Als es an die Einlösung des Versprechen ging, biss er sich die Zähne aus. Der Kongress legte sich quer, Terrorverdächtigte aus der Kuba-Enklave in Gefängnissen auf dem Festland unterzubringen. Angeblich zu gefährlich. Und andere Länder, darunter Deutschland, waren nicht sonderlich begeistert, Guantánamo-Insassen aufzunehmen.
Die Idee, Terrorverdächtige aus Afghanistan und anderen Ländern ausgerechnet auf einem US-Militärstützpunkt im kommunistischen Staat Kuba zu inhaftieren und den Prozess zu machen, kam George W. Bush. Die Idee ist raffiniert und simpel zugleich: Die Regierung wollte die mutmaßlichen Al-Kaida-Kämpfer und Taliban selbst verurteilen, ihnen aber nicht die üblichen Rechte der US-Justiz zugestehen. Daher die Militärbasis - amerikanischer Boden minus US-Jurisdiktion.
Doch in Wirklichkeit lief so ziemlich alles schief. Immer häufiger mischten sich amerikanische Gerichte ein, Berichte über Folter lösten Entsetzen aus, die Militärtribunale machten schlichtweg keinen glaubwürdigen Eindruck. Zwar ließ der Präsident in den vergangenen Wochen und Monaten durchsickern, er halte am Ziel der Schließung fest - aber vorsichtshalber vermeidet er es, ein konkretes Datum zu nennen. 172 Insassen sitzen nach wie vor ein. In Wirklichkeit versandet das Thema zusehends: kein echtes Interesse vorhanden.