Schwaches Bild für Goldene Bären bei der Berlinale
Die Verleihung der Silbernen und Goldenen Bären am Wochenende ist der Höhepunkt der 61. Internationalen Filmfestspiele in Berlin. 16 Wettbewerbsbeiträge sind im Rennen. Filmkritiker waren nicht sehr begeistert vom diesjährigen Programm der Berlinale. Noch ist unklar, welche Filme die Jury überzeugt haben. Favoriten für die Auszeichnung sind das Spielfilmdebüt des Dokumentarfilmers Andres Veiel, ein iranisches Drama über den Zerfall einer Familie und eine künsterlich-hochwertige Produktion über einen Kutscher und das Turiner Pferd.
18.02.2011
Von Rudolf Worschech

Einer der letzten Filme der diesjährigen Berlinale hieß "Saranghada, saranghaji anneunda" (Kommt Regen, kommt Sonnenschein), ein südkoreanischer Beitrag von Lee Yoon-ki. Während einer langen Autofahrt eröffnet eine Frau ihrem Mann, dass es vorbei ist zwischen ihnen und dass sie ausziehen wird. Der Film beobachtet die Beiden anschließend in ihrem Haus beim Zusammenpacken und bei den Ritualen des alltäglichen Lebens mit einer Bedächtigkeit, die nichts anderes will als die Agonie dieser Beziehung aufzudecken. Die Kamera erforscht in statischen Einstellungen und langsamen Fahrten das Haus, während es draußen regnet und regnet und regnet.

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Dieser Film war symptomatisch für den Wettbewerb dieser 61. Berlinale, die ihr Heil im Kleinen suchte, im Alltäglichen und Belanglosen - sicherlich war dieser Wettbewerb einer der enttäuschendsten seit langem. Einen Big-Budget Thriller wie Roman Polanskis meisterhaftem Thriller "The Ghost Writer" im vergangenen Jahr suchte man bei dem Aufgebot von 2011 vergebens.

Erkundungen des Privaten

Stattdessen sorgte die harmlose und platonische türkische Jules-und-Jim-Geschichte "Bizim Büyük Caresilizligimiz" (Unsere große Verzweiflung), in der sich zwei ältere Semester um die Tochter ihres Freundes bemühen, noch nicht einmal für Schmunzeln. In dem argentinischen Beitrag "Un mondo misterioso" (Eine rätselhafte Welt) driftet ein junger Mann, von seiner Freundin verlassen, ziellos durch die Welt. Und auch in "The Future" von Miranda July geht es um eine Trennung. Wenn etwas die Figuren dieser Filme verbindet, so ist es eine gewisse autistische Grundströmung: Sie sind sich selbst genug.

Auch Andres Veiel unternimmt in seinem "Wer, wenn nicht wir" eine Erkundung, die zum Privaten führt: in die Beziehung zwischen Bernward Vesper und Gudrun Ensslin. Der Dokumentarfilmer Veiel hat schon in seinem "Black Box BRD" dem deutschen Terrorismus und der Gewalt hinterhergespürt, in seinem ersten Spielfilm zeichnet er beeindruckend jene Atmosphäre nach, vor deren Hintergrund sich der Terrorismus entwickelte: vor allem jene Muffigkeit, die die Angst vor einem neuen Faschismus, die damals viele umtrieb, nachvollziehbar machte.

Im Unterschied zum "Baader Meinhof Komplex" ist "Wer, wenn nicht wir" aber keine Nummernrevue, sondern die berührende Introspektion des Lebens von Bernward Vesper, der nicht in den Terrorismus abdriftete und scheiterte. Die destruktiven Kräfte der Familie hat "Wer, wenn nicht wir" immer im Blick.

Gute Chancen für den Zerfall einer Familie

Auch in "Jodaye Nader az Simin" (Nader und Simin, eine Trennung) von Asghar Farhad (Iran) dem vielleicht besten Film des Wettbewerbs, geht es vordergründig um den Zerfall einer Familie. In diesem Film verlässt Simin ihren Mann Nader, weil sie mit ihrer Tochter auswandern möchte, er aber sich zum bleiben entscheidet, weil er sich um seinen alzheimerkranken Vater kümmern muss.

Im Mittelpunkt dieses Films steht aber eine juristische Auseinandersetzung: Nader hatte eine streng gläubige Haushaltshilfe aus der Wohnung geworfen, die darauf eine Fehlgeburt erlitt. Nader und Simin sind ein modernes, westlich orientiertes Paar, und der Film hütet sich vor jeder Anklage, er hat sogar etwas Staatstragendes in der Figur eines netten, besonnenen Richters. Und doch handelt er auch von den Folgen einer unfreien Gesellschaft. Der iranische Beitrag ist sicherlich ein Kandidat für den Goldenen Bären, zumindest, wenn es nach dem Willen der Kritiker geht, die diesem Film in den verschiedenen Kritikerspiegeln Höchstnoten gaben.

Strenge Schwarz-weiß-Bilder aus Ungarn

Chancen dürfte auch "A torinói ló" (Das Turiner Pferd), das neue Werk des Ungarn Béla Tarr, haben, zumindest ist es so etwas wie der Solitär unter den Filmen des Wettbewerbs, der wie in keinem anderen Film dieses Jahres eine ganz eigenständige künstlerische Handschrift verriet. Handlung spielt in den Filmen des Ungarn selten eine Rolle, und in "A torinói ló" passieren in den sechs Kapiteln die immer gleichen Handlungsabläufe: wie ein Pferd auf- und abgezäumt wird, der Kutscher von seiner Tochter aus- und angezogen wird und der Sturm ihre Hütte umtost. Die strengen schwarzweißen Bilder dieses zweieinhalbstündigen Opus sind atemberaubend, und das Gefühl des Ausgesetztseins ist selten so abstrakt umgesetzt worden.

Aber vielleicht kann sich ja auch noch "Margin Call" aus der ersten Wettbewerbshälfte Hoffnung machen, der starbesetzte Finanzkrisen-Film von JC Chandor, der sehr distanziert und überhaupt nicht seifig die Maschinerie sezierte, die sich Kapitalismus nennt. 

epd