Was das Wort "Dresden" alles wachzurufen versteht: Christstollen und Striezelmarkt, sächselnde Gemütlichkeit im Kerzenschein, einige denken an das "Elbflorenz" aus der Barockzeit, anderen kommt das "Tal der Ahnungslosen" der DDR-Jahre in den Sinn. Vor allem aber steht Dresden für Leid und Tod, Feuersturm und Untergang, für die brutale Auslöschung einer deutschen Stadt – schlagartig und vollständig. Ein Kriegsverbrechen, das das Ende des Krieges beschleunigen sollte.
Unterschiedliche Emotionen
Dresden, das heute in neuem Glanz erstrahlt (Foto: iStockphoto), ist ein Symbol der Zerstörung. Ein Symbol aber steht niemals für sich allein, sondern wird erst durch das Bewusstsein des Betrachters das, was es ist. So kann der symbolische Ort Dresden ganz unterschiedliche Emotionen hervorrufen: etwa Abneigung gegen Engländer oder Amerikaner, Betonung der deutschen Kriegsopfer, oder aber Engagement für den Frieden, Kampf gegen "Rechts". Demzufolge knüpfen sich mehrere, sich widersprechende Erinnerungskulturen an die sächsische Metropole.
So wie sich die Erinnerung der Menschen täglich verändert, erweitert oder einengt, ist auch der Symbolgehalt des Ortes Dresden permanenten Wandlungen unterworfen und mit höchsten Emotionen belegt. Über Jahrzehnte etwa herrschte Streit über die Frage, wie viele Menschen im Bombenhagel vom Faschingsdienstag 1945 starben – als ob nicht jeder einzelne Tote schon einer zu viel gewesen wäre. Eine von der Stadt eingesetzte Historikerkommission ermittelte vor einigen Jahren eine Opferzahl zwischen 18.000 und 25.000.
Glockengeläut und "Dresdner Requiem"
Nach dem Weltkrieg geriet der Erinnerungsort Dresden rasch in die Deutungshoheit der kommunistischen Propaganda, die von "angloamerikanischem Bombenterror" sprach. Parallel entwickelte sich indes eine lokale Gedenkkultur, deren feste Bestandteile das stadtweite Glockengeläut sowie die Aufführung von Rudolf Mauersbergers "Dredner Requiem" wurden. Staatliche und kirchliche Gedächtnisfeiern konkurrierten dabei miteinander: Die SED rief zum Trümmerhaufen der Frauenkirche, die Christen versammelten sich in der Kreuzkirche.
Dresden als Mahnung gegen Krieg und Zerstörung – es war folgerichtig, dass die DDR-Friedensbewegung auch an diesem symbolischen Ort "Schwerter zu Pflugscharen" schmieden wollte. Als Geburtsstunde gilt der 13. Februar 1982. Christen waren so zahlreich beteiligt, dass schon bald Kritik an der "Verkirchlichung" der Erinnerung laut wurde. Auch der Staat war hellhörig. An den Gedenktagen blieben Verhaftungen nicht aus. Der 13. Februar war ein "Angsttag für beide Seiten", so der Historiker Olaf Meyer.
Kerzen an der Ruine der Frauenkirche
Nach der Wende änderte sich das Bild rasch. Die Konkurrenz zwischen staatlicher und kirchlich-bürgerschaftlicher Erinnerung fiel weg. Am Gedächtnistag 1990 trugen die Dresdner in einer beeindruckenden Prozession tausende von Kerzen vom Altmarkt zur Frauenkirchen-Ruine. Andererseits sprach am gleichen Tag der Holocaustleugner David Irving in der Elbmetropole vom "alliierten Völkermord". Freiheit ist immer auch die Freiheit des anders Denkenden – auch wenn er falsch liegt.
Im wiedervereinigten Deutschland überwogen indes die versöhnlichen Zeichen, die der symbolische Ort an der Elbe aussandte. Ein "Ruf aus Dresden" ermunterte zur Beteiligung am Wiederaufbau der Frauenkirche - ein Jahrhundertprojekt, das 2005 vollendet wurde. Das Kuppelkreuz des rekonstruierten Barockbaus wurde aus britischen Spenden finanziert. Hatte der Trümmerhaufen der Frauenkirche die Wunde symbolisiert, die die Bomben schlugen, so steht das Gotteshaus mit seinen dunklen alten und hellen neuen Steinen für die Narbe, die bleiben wird.
Vielfältig ist die Erinnerungsarbeit der Stadt Dresden sowie aus der Zivilgesellschaft. Sie steht vor der Aufgabe, immer wieder die erschütternde Ambivalenz des Geschehens von 1945 zu verdeutlichen. Ohne Hitler wären die Bomben auf Dresden nicht gefallen. Und wären sie nicht gefallen, hätte ein Mann wie der jüdische Linguist Victor Klemperer (Foto: dpa) nicht überlebt. Ein paar Tage später wäre Klemperer, der als Chronist der NS-Zeit berühmt wurde, deportiert worden.
Eine angemessene Gedenkkultur sollte die Opfer in den Mittelpunkt stellen, ohne sie zu glorifizieren. Die Überlebenden sind unschätzbare Zeitzeugen – in 20 oder 30 Jahren wird niemand mehr aus eigenem Erleben von der Zerstörung von "Elbflorenz" berichten können. "Wer das Weinen verlernt hat, der lernt es wieder beim Untergang Dresdens", hat Gerhart Hauptmann einmal gesagt. Ebenso wichtig ist es, sich den Ewiggestrigen mit Entschiedenheit entgegenstellen - aber friedlich. Als Stadt des Friedens ist Dresden ein symbolischer Ort auch für das 21. Jahrhundert.
Lesetipps:
Olaf Meyer: Vom Leiden und Hoffen der Städte. Öffentliches Gedenken an die Kriegszerstörungen in Dresden, Coventry, Warschau und St. Petersburg, Hamburg 1996.
Olaf B. Rader: Dresden, in: Deutsche Erinnerungsorte. Band II. Hg. von Etienne Francois/Hagen Schulze, München 2001, S. 451-470.
Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für das Ressort Kirche + Religion.