Gaddafi steckt den Kopf in den Wüstensand
Gaddafi hatte schon geahnt, dass die arabische Revolutionswelle auch an ihm nicht spurlos vorbeirauschen würde. Er und seine treuen Volkskomitees wehren sich jetzt mit Gegendemos, teilweise aber auch mit Tränengas und scharfer Munition. Elf Menschen sind bisher ums Leben gekommen.
17.02.2011
Von Anne-Beatrice Clasmann

Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Funke der Revolution aus Tunesien und Ägypten auch auf das Nachbarland Libyen überspringen würde. Doch noch ist es zu früh, um zu sagen, ob die Gegner des ewigen Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi (68) zahlenmäßig und vom Organisationsgrad her in der Lage sein werden, den halsstarrigen Oberst in die Wüste zu schicken.

Bislang ist auch noch nicht viel passiert. Doch in einem Land wie Libyen, wo Parteien verboten und "spontane" Demonstrationen meist vom Führer selbst angeordnet werden, ist es schon sehr beachtlich, wenn Hunderte von Regimegegnern auf der Straße "Gaddafi, wir haben keine Angst vor dir" schreien. Und das Beispiel Tunesien hat ja gezeigt, welche Wirkung es entfalten kann, wenn in einem Staat ohne jegliche Meinungsfreiheit plötzlich die Barriere der Angst durchbrochen wird.

"Das Volk hat die Macht, und die Macht vertrete ich"

Und was macht der seit 42 Jahren amtierende Staatschef? Er steckt den Kopf in den Sand und tut so, als existierten diese Demonstranten gar nicht. Denn Gaddafi regiert Libyen nach dem Prinzip: "Das Volk hat die Macht, und das Volk vertrete ich". Diese Sichtweise spiegelt sich auch in den Slogans seiner Getreuen, die in diesen Tagen des Aufruhrs auf die Straße gehen, um "Immer mit dir, oh Führer" und "Die Autorität des Volkes muss bleiben" skandieren.

Die staatliche libysche Nachrichtenagentur Jana berichtet ausschließlich über Kundgebungen von Gaddafi-Anhängern. Libysche Offizielle schimpfen im Interview mit dem Nachrichtensender Al-Arabija: "Es gab keine Toten, das sind alles Lügen, die von ausländischen Fernsehsendern fabriziert wurden."

Die Opposition, die zum Teil aus dem Exil operiert, hält dagegen und veröffentlicht via Internet heimlich aufgenommene Bilder von Protestaktionen. Die Presseorgane, die Gaddafis politisch ambitionierter Sohn Seif al-Islam gegründet hat, beschreiten einen Mittelweg. So meldet die Zeitung "Qurina", der Sicherheitschef der Mittelmeerprovinz Grüner Berg im Osten des Landes, Hassan al-Kardawi, sei wegen des Todes von zwei jungen Männern in der Stadt Al-Baidha entlassen worden.

Jugendliche, Islamisten, Menschenrechtler

Doch wer sind diese Gegner Gaddafis, die nun aufbegehren? Es sind vor allem die Einwohner der Ost-Provinzen, die sich bei der Verteilung der Einnahmen aus dem Öl-Geschäft benachteiligt fühlen. Es sind arbeitslose Jugendliche und Islamisten, Menschenrechtler, Intellektuelle und Angehörige von politischen Gefangenen. "Die Demonstranten waren bisher sehr ruhig und friedlich, trotzdem sind sie von den Sicherheitskräften angegriffen worden", sagt ein Sprecher der Exil-Opposition.

Sollte sich Gaddafi nicht an der Macht halten können, so steht jetzt schon fest, dass ihm außerhalb Libyens kaum jemand eine Träne nachweinen wird - die anderen arabischen Staats- und Regierungschefs schon gar nicht. Denn der Berufsrevolutionär hat jeden einzelnen von ihnen schon mindestens einmal vor den Kopf gestoßen. Den saudischen König schrie er einst vor laufenden Kameras beim arabischen Gipfel an. Die Palästinenserführer beschimpfte er fortlaufend. Die libanesische Schiiten-Bewegung Hisbollah hasst ihn, weil sie ihn für das Verschwinden eines von ihr verehrten Geistlichen verantwortlich macht.

dpa