Ein Drittel der Ärzte würde Suizidbeihilfe leisten
Die Ärzteschaft rückt von ihrer Verurteilung der Sterbehilfe stückweise ab. Ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung sei "keine ärztliche Aufgabe", heißt es in den überarbeiteten Grundsätzen zur Sterbebegleitung, die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurden.

Bislang hieß es in den Grundsätzen zur Sterbebegleitung, eine Mitwirkung des Arztes beim Suizid widerspreche dem ärztlichen Ethos. Die Berufsordnung für Ärzte sieht vor, dass Ärzte Menschenleben nicht aktiv verkürzen dürfen. In den Gremien der Ärztekammer werde derzeit heftig über mögliche Änderungen diskutiert, sagte Bundesärztekammer-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe. Beim Ärztetag in Kiel Ende Mai könnte zu einer Aufweichung in der Berufsordnung kommen. Die Bundesländer müssen Änderungen genehmigen.

Hoppe räumte ein, dass es ein Widerspruch sei, dass die Ärzte laut neuen Empfehlungen im Einzelfall Hilfe zum Suizid geben könnten, die Berufsordnung aber enge Grenzen setzt. "Dieser Widerspruch ist noch nicht aufgelöst." Mit der geänderten Formulierung würden "die verschiedenen und differenzierten individuellen Moralvorstellungen von Ärzten in einer pluralistischen Gesellschaft anerkannt", sagte er. Hoppe nannte eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach, derzufolge 30 Prozent der Ärzte bereit seien, grundsätzlich schwerstkranken Patienten Suizidbeihilfe zu leisten.

Im Einzelfall moralisch gerechtfertigt

Todkranke Patienten sollen im Einzelfall etwas leichter Hilfe zum Sterben vom Arzt bekommen können, ohne dass dies den Mediziner in Schwierigkeiten bringt. Zwar ist die Mitwirkung zur Selbsttötung auch nach neuen Empfehlungen der Bundesärztekammer keine ärztliche Aufgabe - aber im Einzelfall könne es moralisch gerechtfertigt sein, sagte Kammerpräsidenten Jörg-Dietrich Hoppe am Donnerstag in Berlin. "Wenn Ärzte mit sich selbst im Reinen sind, brechen wir nicht den Stab über sie", betonte er.

Etwa Krebspatienten könnten das bevorstehende Sterben akzeptieren, wenn eine Kombinations- oder Chemotherapie plötzlich nicht mehr anschlägt. Voraussetzung für Hilfe zur Selbsttötung müsse immer das Einverständnis dieser Patienten sein, denn nicht alle seien zur Aufgabe der Therapie bereit. Auch todkranke Jugendliche mit großem Leidensdruck und ohne Chance auf Besserung könnten sich im Einzelfall gegen ein Weiterleben wenden.

Ärzte sollen Depressionen erkennen

Über Ärzten, die bei diesem Thema "mit sich im Reinen" seien, werde nicht "der Stab gebrochen", sagte Hoppe. In der ärztlichen Berufsordnung, die nach Angaben Hoppes bis zum Sommer beraten werden soll, könnte dieses Thema allerdings anders ausgelegt werden.

Zugleich betonte der Ärztekammer-Präsident, rund 95 Prozent der Fälle, in denen bei Patienten Suizidgedanken aufkämen, seien mit einer behandelbaren Krankheit wie Depression verbunden. "Zur Sorgfalts- und Garantenpflicht des Arztes gehört es, diese Krankheit zu erkennen und zu behandeln", so Hoppe. Viele Patienten ließen danach "ihren Todeswunsch fallen".

Die Patientenorganisation Deutsche Hospiz Stiftung übte scharfe Kritik an den überarbeiteten Grundsätzen. Der Vorstand der deutschen Ärzteschaft habe das ärztliche Ethos "abgeschafft", sagte der Geschäftsführende Vorstand Eugen Brysch. Der Arzt bleibe sich selbst überlassen, wenn es um die Gewissensentscheidung gehe, eine Selbsttötung zu unterstützen oder abzulehnen.

Weniger Bereitschaft bei älteren Ärzten

Der FDP-Ethikexperte Michael Kauch sagte, die neuen Richtlinien der Ärzteschaft zeigten Bewegung bei der Bewertung des ärztlich assistierten Suizids. Die Entscheidung über eine Zulassung ärztlich assistierter Sterbehilfe gehöre nun ins Parlament.

Die Überarbeitung der Grundsätze aus dem Jahr 2004 war nach Angaben der Ärztekammer unter anderem nötig geworden, weil durch das Patientenverfügungsgesetz von 2009 neue Rahmenbedingungen geschaffen wurden. 

Hoppe mahnte allerdings zu gründlichem Nachdenken vor einer möglichen weiteren Öffnung hin zur Sterbehilfe, da sich diese dann bei den nachwachsenden Ärztegenerationen stark ausweiten könnte. "Je älter Ärzte sind, desto mehr nimmt die Bereitschaft zur Suizidbeihilfe ab." Diese Mediziner hätten mehr Erfahrung mit medizinischer Sterbebegleitung.

epd/dpa