Weniger arbeiten bei Pflegefall in der Familie
Die Koalition hat sich auf die Einführung einer Familienpflegezeit verständigt. Pflegende Angehörige sollen die Möglichkeit bekommen, eine Zeitlang nur 50 Prozent zu arbeiten - zu 75 Prozent Gehalt. Sozialen Organisationen geht der Vorschlag nicht weit genug.

Ein entsprechender Gesetzentwurf solle den betroffenen Bundesministerien am Donnerstag zur Abstimmung vorgelegt werden, sagte Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) am Mittwoch in Berlin. Demnach sollen Beschäftigte ihre Arbeitszeit für bis zu zwei Jahre auf bis zu 50 Prozent reduzieren können, wenn sie einen Angehörigen pflegen. Ein Rechtsanspruch auf Pflegezeit wird damit nicht begründet. Soziale Organisationen und die Opposition kritisierten die Regierungspläne als "Luftnummer".

Das Gesetz sieht vor, dass Beschäftigte während der Pflege eines Angehörigen 75 Prozent ihres Bruttoeinkommens erhalten, auch wenn sie nur 50 Prozent arbeiten. Zum Ausgleich bekommen sie nach Ende der Pflegezeit zunächst ebenfalls nur 75 Prozent ihres Gehalts, arbeiten aber wieder in Vollzeit. Der Arbeitgeber beantragt eine Refinanzierung beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Nach der Pflegephase behält er einen Teil vom Lohn ein und zahlt ihn an das Bundesamt zurück. Die Regelung soll 2012 in Kraft treten.

Forderung nach Rechtsanspruch

Um das Risiko der Altersarmut zu verringern, sei die Untergrenze des Beschäftigungsumfangs während der Pflegezeit bewusst auf 50 Prozent gesetzt worden, erläuterte das Ministerium. So könnten die Rentenansprüche erhalten bleiben. Arbeitnehmer müssen sich zudem für den Zeitraum der Familienpflege gegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit versichern.

Schröder verwies auf die Altersteilzeit, die auch ohne Rechtsanspruch in hohem Maße akzeptiert werde. Beschäftigte und Unternehmen würden dabei nicht "in gesetzliche Zwänge gedrängt".

Soziale Organisationen forderten einen Rechtsanspruch auf Pflegezeit und finanzielle Unterstützung der Pflegenden. Der Paritätische Wohlfahrtsverband nannte die Koalitionspläne eine "Luftnummer". Es sei eine Brüskierung der Pflegenden, ihnen mehr Anerkennung zu predigen und dann einen verbindlichen Rechtsanspruch zu verweigern.

Caritas-Präsident Peter Neher sagte zu dem Gesetzentwurf, er werde der demografischen Entwicklung und dem steigenden Bedarf nach Pflege nicht gerecht. Pflegende Angehörige dürften nicht schlechter gestellt werden als Erziehende in der Elternzeit.

Enttäuschung bei Patientenschutzorganisation

Der Sozialverband VdK warf der Regierung vor, vor Teilen der Arbeitgeberlobby eingeknickt zu sein. "Wenn wir die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf nicht deutlich verbessern, droht unserem Pflegesystem der Kollaps", warnte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher.

Auch die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung zeigte sich enttäuscht. Auch Mutterschutz und Elternzeit wären nicht umgesetzt worden, wenn man es der Wirtschaft überlassen hätte, sich darauf zu verständigen, sagte der Geschäftsführende Vorstand Eugen Brysch.

Die Pflege-Expertin der Grünen-Fraktion, Elisabeth Scharfenberg, kritisierte, die Pflegepolitik der Bundesregierung sei "nichts als lauwarme Luft". Die Zahl der Betriebe, die freiwillig eine Familienpflegezeit einführen, werde "mehr als überschaubar" bleiben.

In Deutschland beziehen heute den Angaben zufolge rund 2,25 Millionen Menschen Leistungen aus der Pflegeversicherung. Mehr als 1,5 Millionen Menschen werden durch Angehörige und ambulante Dienste zuhause versorgt.

epd