Ägypten: Mit Geburtswehen zur Demokratie
Nach dem Umsturz in Ägypten will das Militär möglichst schnell demokratische Wahlen organisieren. Dabei ist es allerdings nicht sicher, ob dieser Prozess störungsfrei ablaufen wird, oder ob reaktionäre Kräfte versuchen werden, die Demokratisierung zu sabotieren. Lotfi Toumi von der Universität Kiel schätzt für evangelisch.de die Rolle des Militärs in Ägypten ein und zieht dabei auch einen Vergleich zu Tunesien.
16.02.2011
Von Lotfi Toumi

Doch, auch in Ägypten scheint die Revolution erfolgreich zu sein. Wie oft haben Regierungsmitglieder in Kairo vor dem Rücktritt des Präsidenten Husni Mubarak betont: "Ägypten ist nicht Tunesien"! Diese Floskel, die von einigen westlichen Medien – zum Teil unkritisch - übernommen wurde, drückte eher die Angst der ägyptischen Regierung aus, dasselbe schmachvolle Ende des diktatorischen korrupten Regimes in Tunis zu erleben. Sie hatte jeden Grund zur Nervosität und Angst. Sie wusste, dass die Korruptionsanschuldigungen gegen viele ihrer Mitglieder beweisbar sind, und dass die ägyptische Revolution genau wie in Tunesien zu einer radikalen Säuberungsaktion führen könnte.

Erste Anzeichen dieser Säuberung in Kairo sind schon sichtbar: Nach der Entmachtung Mubaraks bat die ägyptische Übergangsregierung die amerikanische Administration und die Europäische Union, das Vermögen Mubaraks und vieler seines Regimes vorerst einzufrieren. Sein ehemaliger Innenminister al-Adili, zu dessen Amtszeit vor einigen Tagen die Schergen Mubaraks mit Messern und Schlagstöcken auf die Demonstranten und Journalisten losgelassen wurden, erhielt bereits eine Vorladung von der Staatsanwaltschaft. Auch seine Konten wurden bis auf weiteres eingefroren; und ihm wurde die Reise ins Ausland vorläufig untersagt.

Frieden in Ägypten - oder Bürgerkrieg? 

Jetzt, nach all diesen Ereignissen stellen sich genau dieselben Fragen, die sich einige Wochen zuvor in Tunesien gestellt haben: Der Diktator ist gegangen, was wird aber mit der diktatorischen korrupten Struktur, die er hinterließ, geschehen? Wird der Druck des Volkes weiter anhalten, bis alle diktatorischen und korrupten Minister und Staatsdiener buchstäblich aus dem Amt gejagt sind? Wird eine unabhängige Antikorruptionskommission gebildet, die zumindest die größten Verfehlungen des Kabinetts Mubaraks in den letzten Jahren aufdecken soll? Werden nicht anerkannte politische Parteien zugelassen? Werden alle politischen Häftlinge freigelassen? Und schließlich die wichtigste Frage: Wird die Umsetzung dieser ehrgeizigen Ziele – sollte es überhaupt dazu kommen - friedlich verlaufen, oder wird sie das Land in einen Bürgerkrieg stürzen?

Viele Fragen, die zunächst einmal offen bleiben. Vor seinem Rücktritt zählte Mubarak wohl irrtümlich auf die Unterstützung des Militärs. Seine dritte Rede am 10. Februar, in der er abermals betonte, er werde nicht zurücktreten, war für Demonstranten und Oppositionsparteien enttäuschend. Ging er etwa davon aus, dass das Militär auf das Volk schießen würde, falls die bislang friedlichen Proteste in gewalttätige Unruhen umschlagen? Dachte er, das Militär würde das Volk opfern für einen 82-jährigen Präsidenten, dessen Politik während einer 30-jährigen Alleinherrschaft das Land in diese Sackgasse geführt hat, und dessen illegal erworbenes Vermögen vom arabischen Nachrichtensender Al Jazeera auf 70 Milliarden Dollar geschätzt wird?

Mubaraks Worte wirkten zynisch

Präsident Mubarak hat die Lage vollkommen falsch eingeschätzt. Ja, er nahm offensichtlich die Eskalation in Ägypten in Kauf. Ihm scheint es in der Tat um vieles zu gehen. Das Militär spielte aber nicht mehr mit. Bereits vor Mubaraks dritter Rede signalisierten die Generäle in einer Bekanntmachung, dass sie nicht gewillt sind, das ägyptische Volk für diesen Präsidenten zu opfern.

In seiner dritten und letzten Rede räumte Mubarak Fehler in seiner Politik ein und versprach sogar, die Verantwortlichen für den Angriff auf die Demonstranten und Journalisten in den letzten Tagen zur Rechenschaft zu ziehen. Dieses Versprechen wirkte geradezu zynisch. Die Angreifer waren organisiert, und sie wurden gezielt eingesetzt. Bei ihrem Angriff auf die Demonstranten hielten viele von ihnen Mubaraks Bilder in der Hand und riefen: "Es lebe Mubarak". Als diese Taktik fehlschlug und das wahre Wesen dieses Regimes ans Licht kam, was zum massiven Verlust an Ansehen für Mubarak im In- und Ausland geführt hat, wurden seine Schergen zurückgezogen und wir haben von ihnen bis heute nichts mehr gehört. 

Demokratie zu welchem Preis?

In Ägypten wird es kein Zurück mehr geben. Mubarak ist gegangen, und der demokratische Wandel, den das Volk gegen den Willen und die Interessen von Mubarak und seiner Clique in Gang gesetzt hat, wird seinen Lauf nehmen. Die Frage bleibt nur: wie schnell, und zu welchem Preis? Wie in Tunesien wird auch das ägyptische Militär hoffentlich den Wandel begleiten und vor Sabotagen der Gegner, die wahrlich sehr viel zu verlieren haben, schützen.

Der Unterschied im weiteren Verlauf der Revolution zwischen Tunesien und Ägypten liegt allerdings in der unterschiedlichen Rolle des Militärs in beiden Ländern. Im Gegensatz zu Tunesien spielt das Militär in Ägypten eine sehr wichtige Rolle und zwar nicht nur im Inland sondern auch in den Beziehungen mit dem Westen. Das ägyptische Militär wird wohl dem Ruf des ägyptischen Volkes zur Demokratisierung des Landes nachkommen (müssen). Gleichzeitig wird es sicherlich die guten Beziehungen zum Westen und die Stabilität in der Region wahren wollen. Die Gefahren einer neuen euphorischen unbedachten Außenpolitik dürften nicht nur den Generälen, sondern auch der ägyptischen Elite und Opposition bewusst sein.

Wird das Militär die Macht abgeben?

Unklar jedoch bleibt momentan die Frage, ob das ägyptische Militär die Demokratisierung voll und ganz unterstützen will, oder ob es lediglich halbherzige Zugeständnisse unter dem Druck des Volkes machen wird. Sollte auch die militärische Institution, die ja einen Zweig der ägyptischen Wirtschaft kontrolliert, wie Mubaraks Regierung in Vetternwirtschaft und Korruption verwickelt sein, wird es für die Revolution in Ägypten schwierig, ihre Ziele auf dem schnellsten Weg zu erreichen.

Geht man jedoch davon aus, dass das Militär in Ägypten fern von jeglicher Korruption geblieben ist und noch dazu gewillt ist, die Kontrolle über die Außenpolitik an einer demokratisch gewählten Regierung zu übergeben, werden wir in wenigen Monaten die Geburt einer echten Demokratie in Ägypten erleben.

In beiden Szenarien werden die Ägypter vermutlich mit Sabotagen von Anhängern des alten Regimes zu tun haben. Diese Sabotagen könnten Wochen oder Monate andauern. Aber sie sind ein akzeptabler Preis für eine langersehnte Freiheit und Demokratie, die Ägypten (buchstäblich) verdient hat. Weder diese Sabotagen noch eine mögliche Zögerung des Militärs werden den Marsch der Demokratie in Ägypten stoppen können. Sie könnten ihn allenfalls verlangsamen.

Allen Anzeichen nach wird es in Ägypten in wenigen Monaten freie Wahlen geben, die zur Bildung einer demokratischen Regierung führen werden. Diese Regierung wird für die Ägypter und für den Westen definitiv besser sein als eine korrupte Diktatur.


Dr. Lotfi Toumi stammt aus Tunesien. Er studierte Geschichte, Geographie, Germanistik, Politikwissenschaft und Orientalistik. Seit 2008 arbeitet er als Dozent im Seminar Islamwissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.