Mit "Nadelstich"-Technik gegen den Castor-Transport
Auch auf seiner letzten Etappe durch Mecklenburg-Vorpommern haben hunderte Atomkraftgegner den Castor-Zug mehrmals zum Stehen gebracht. Er erreichte dennoch sicher sein Ziel. Das Anti-Atom-Bündnis sieht die nächtlichen Aktionen aber als Erfolg an.
16.02.2011
Von Martina Rathke und Winfried Wagner

Sie wollten Sand im Getriebe sein: Als der Zug mit der hochradioaktiven Fracht gegen Mitternacht durch die Schweriner Innenstadt rollt, springt ein junger Mann aus dem Häuflein nimmermüder Atomkraftgegner von der Straße auf das Gleis. Der Zug macht Halt. Wenige Kilometer weiter haben sich etwa 30 junge Leute am Stadtrand auf die Schienen gesetzt. Sie werden von Polizisten weggetragen und erreichen damit in dieser frühen Stunde am Donnerstag ihr Ziel: Der Atommüll-Transport aus der stillgelegten atomaren Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe zum Zwischenlager Nord bei Lubmin muss erneut eine Zwangspause einlegen. Den 600 Demonstranten in ganz Mecklenburg-Vorpommern steht ein Polizisten-Heer gegenüber, das wohl viermal so groß ist.

"Hier hat sich jetzt eine Protestkultur etabliert"

Es sind nicht die Massen, wie sie sich etwa im niedersächsischen Gorleben im Herbst vergangenen Jahres dem Atomtransport entgegenstellten. Es sind kleine Gruppen, die mit "Nadelstichen" die detaillierten Zeitpläne der Sicherheitskräfte durcheinanderbringen. "Hier hat sich jetzt eine Protestkultur etabliert, Menschen äußern selbstbewusst ihre Meinung zur unsäglichen Atompolitik der Bundesregierung", beschreibt es Arndt Müller von der Naturschutzorganisation BUND.

"Die Zeiten der stillen Atommülltransporte in den Nordosten Deutschlands sind definitiv vorbei", meint Sophie Hirschelmann vom Anti-Atom-Bündnis Nordost. In Sachsen-Anhalt lag der Transport noch 50 Minuten vor dem internen Zeitplan. "In Mecklenburg-Vorpommern ging es dann nicht mehr so flüssig", resümiert der Einsatzleiter der Bundespolizei, Joachim Franklin, mit einem leichten Lächeln am Donnerstag und zählt alle Aktionen von Ludwigslust bis Lubmin entlang der Strecke auf.

Rausgeschlagene Zähne, blutige Lippen

Der Zug kam mit vierstündiger Verzögerung im Zwischenlager Nord an, das in den 90er Jahren ausschließlich für den Atommüll aus den ostdeutschen Reaktoren Lubmin und Rheinsberg (Brandenburg) gebaut worden war. "Wir haben mit den erzwungenen Verspätungen gezeigt, dass wir den Atommüll hier nicht wollen", sagt Daniel Holtermann vom Anti-Atom-Bündnis. In Halle an der Saale sind es zwei Kletterer von Robin Wood, in Schwerin BUND-Anhänger, zwischen den vorpommerschen Ortschaften Altenwillershagen und Buchenhorst zwei Mitglieder einer lokalen Initiative, die mit ihren Aktionen den Zug zum Stehen bringen. Und sich meist friedlich von der Polizei aus den Gefahrenzonen bringen lassen.

Meist. Denn bei Auseinandersetzungen um eine Gleisbesetzung wenige Kilometer vor dem Zielort Lubmin fließt auch etwas Blut. "Es gab rausgeschlagene Zähne, blutige Lippen und Nasen", kritisiert die Grünen-Landespolitikerin Ulrike Berger. Zudem seien einige Atomkraftgegner zum Teil "willkürlich" bis zu drei Stunden im Freien festgehalten worden. Mehrere Demonstranten hätten sich im Gewahrsam in Wolgast bis auf die Unterwäsche ausziehen müssen.

Polizei: "Das Einsatzziel wurde erreicht"

Auch die Polizei sieht sich als Gewinner. "Das Einsatzziel wurde erreicht." Der Transport habe sicher sein Ziel erreicht, sagt Einsatzleiter Franklin. Polizei wie auch Innenminister Lorenz Caffier (CDU) kündigen eine Prüfung der Vorwürfe der Atomkraftgegner an, die Polizei sei unangemessen hart gegen sie vorgegangen.

Der Bürgermeister der 2.000-Seelen-Gemeinde Lubmin, Axel Vogt (CDU), sieht eher kein Negativimage wegen der Castor-Transporte ür das Seebad: "Wir haben stetig steigende Gästezahlen und auch die Hauptsaison 2011 ist fast ausgebucht."

dpa