Missbrauch bei Jesuiten: Bericht belastet Ex-Schulleiter
Der Abschlussbericht zu den Fällen von sexuellem Missbrauch am Bonner Aloisiuskolleg des Jesuitenordens belastet den ehemaligen Schulleiter und weiteres Personal. Unter den Beschuldigten sind 18 Ordensleute und fünf andere Mitarbeiter des Kollegs.

In dem am Dienstag vorgelegten Bericht der Kölner Rechtsprofessorin Julia Zinsmeister werden  23 Mitarbeiter am Bonner Jesuitengymnasium beschuldigt, in einem Zeitraum von 60 Jahren "körperliche Züchtigungen, sexuelle Übergriffe und entwürdigende Erziehungsmaßnahmen" an Jugendlichen vorgenommen zu haben. 18 Ordensmitglieder und fünf weltliche Mitarbeiter seien für Missbrauchsfälle verantwortlich, hieß es. Mehr als die Hälfte der 58 Berichte über Missbrauch und Übergriffe anderer Art betreffen einen Pater, der 40 Jahre lang bis 2008 an der Eliteschule tätig war.

Zehn Fälle beträfen auch den früheren Schulleiter, der von 1968 bis 2008 am Aloisiuskolleg wirkte und lebte, hieß es. Zu den Vorwürfen gegen ihn sagte Zinsmeister dem Evangelischen Pressedienst (epd): "In zehn Fällen wären bei ihm die beschriebenen sexuellen Grenzverletzungen auch nach den strengen Anforderungen des Strafrechts als sexueller Missbrauch zu bewerten." Die meisten Beschuldigten seien in den 1950er und 60er Jahren im Aloisiuskolleg tätig gewesen, hieß es. Berichte über vier Ordensmitglieder und zwei weltliche Mitarbeiter beträfen die 1970er bis 90er Jahre.

Viele doppeldeutige Handlungen

Viele der berichteten Handlungen seien doppeldeutig gewesen, heißt es in dem Bericht. Dabei habe es sich etwa um dem Anschein nach pflegerische oder erzieherische Maßnahmen gehandelt, die dann weit über das Gebotene hinaus gegangen seien. Das sei der Fall gewesen, wenn sich Schüler beispielsweise zum rektalen Fiebermessen vollständig entkleiden mussten oder zehn- bis zwölfjährige Jungen unter der Dusche eingeseift wurden. Das Aloisius-Kolleg ist eine Eliteschule mit angeschlossenem Internat. Zu den ehemaligen Schülern gehören viele Prominente, darunter Bundesinnenminister Thomas de Maizière und der Entertainer Stefan Raab.

"In zehn Fällen wären die beschriebenen sexuellen Grenzverletzungen auch nach den strengen Anforderungen des Strafrechts als sexueller Missbrauch zu bewerten", heißt es in dem Bericht eines unabhängigen Untersuchungsteams. Das Oberhaupt der deutschen Jesuiten, Stefan Kiechle, brachte in einer Stellungnahme seine "Bestürzung und Beschämung" zum Ausdruck. Er wies aber auch darauf hin, dass in dem betreffenden Zeitraum 245 Jesuiten am Aloisius-Kolleg gearbeitet hätten. Fünf davon würden nun "wegen sexualisierter Gewalt" beschuldigt. "Ist das viel, ist es wenig?", fragte Kiechle. "Jeder einzelne Fall ist schrecklich, und jeder einzelne ist zu viel."

"Die Haut abgezogen"

Bei den von den Opfern geschilderten Fällen geht es nicht nur um sexuellen Missbrauch, sondern auch um Gewalt und Psychoterror. Schüler wurden blutig geschlagen und zutiefst gedemütigt. Einer der ehemaligen Schüler sagte, er habe das Gefühl, dass ihm am Aloisius-Kolleg die Haut abgezogen worden sei. Andere verteidigen die Schule bis heute und sagen, es gehe nur um wenige Einzelfälle. Die 58 Schilderungen über Missbrauch und Misshandlung seien nicht im entferntesten vollständig, wie die drei Autorinnen betonten. Zinsmeister machte die Kultur des Jesuitenordens für die Taten mitverantwortlich. "Die Organisationskultur muss sich öffnen für Kritik", forderte sie.

Mehr als die Hälfte der Fälle betrifft einen Pater, der 40 Jahre lang bis 2008 an der Eliteschule tätig war und auch Rektor wurde. Er misshandelte und missbrauchte demnach "Generationen von Schülern", ohne dass je gegen ihn eingeschritten wurde. Dieser sogenannte "Pater Georg" machte tausende Fotos von nackten oder halbnackten Jungen, die er zum Teil sogar veröffentlichte und ausstellte. Sie erfüllen zwar nicht den Tatbestand der Kinderpornografie, eine «erotische Komponente» räumte er jedoch selbst ein. Der Pater baute das Kolleg nach Zinsmeisters Worten zielstrebig zu seinem «Herrschaftsraum» aus. Inzwischen ist er tot, und die Taten wären auch verjährt.

Angst, Alpträume, Panikattacken

Bei zahlreichen Opfern stellte Kommission Folgen bis heute fest: Vertrauensverlust und Angst vor Nähe und Bindungen, Ausgrenzung und Isolation, Alpträume und Panikattacken, Depressionen und massive Minderwertigkeitsgefühle. "Etliche Altschüler berichten von jahrelangen Psychotherapien, Teilnahme an Selbsthilfegruppen oder Medikamenteneinnahmen", heißt es in dem Bericht. Als lobenswert erachtete Zinsmeister den Ende 2010 schulintern erstellten Präventionsleitfaden. Dem Aloisiuskolleg schlug sie vor, als "Schulgemeinschaft seine Verteidigungshaltung abzulegen und das Augenmerk auf die dringend erforderliche innere Auseinandersetzung zu legen".

Das Oberhaupt der deutschen Jesuiten, Stefan Kiechle, sprach in einer Reaktion von "Bestürzung und Beschämung". Der Orden hat Missbrauchsopfern auch an anderen Jesuitenschulen 5.000 Euro als "symbolisches Zeichen" angeboten. Ehemalige Schüler, die selbst missbraucht worden sind, bezeichneten diese Summe als «Peanuts». Es müsse ein Betrag sein, der dem Jesuitenorden auch weh tue, sagte der Altschüler Jürgen Repschläger.Das Bekanntwerden sexueller Übergriffe auf Jungen an der Berliner Jesuitenschule Canisius-Kolleg hatte Mitte Januar 2010 eine Lawine in Deutschland ausgelöst. Immer mehr verjährte Missbrauchsfälle kamen ans Licht.

Entschädigungsregelung in Sicht

Die katholische Kirche hat sich nach jüngsten Angaben ihres Missbrauchsbeauftragten, Bischof Stephan Ackermann, inzwischen auf Summen zur Entschädigung der Opfer geeinigt. Eine konkrete Zahl wurde aber noch nicht genannt. Ackermann hatte Anfang Februar mit Blick auf den 5.000-Euro-Vorschlag der Jesuiten erklärt: "Damit sind Orientierungen gegeben." Er bezog sich dabei auch auf den Fonds in Höhe von 120 Millionen Euro, auf den sich der Runde Tisch Heimkinder verständigt hatte - das wären rund 2.000 bis 4.000 Euro pro Opfer.

epd/dpa