Banken und Finanzmärkte: Nach der Krise ist vor der Krise
Haben wir etwas gelernt? Dreieinhalb Jahre nach Ausbruch der globalen Finanzkrise kommt die Regulierung von Banken und Finanzmärkten in Europa nur schleppend voran.
14.02.2011
Von Hermannus Pfeiffer

Alan Greenspan nennt sie kurz und knapp "die Krise". Er hält sie für beendet. Die Krise war im Sommer 2007 ausgebrochen, als in den USA eine Immobilienblase platzte. Greenspan, der frühere Chef der amerikanischen Notenbank Fed, hatte mit einer Politik des billigen Geldes seinen Teil zu den aufgeblasenen Finanzmärkten beigetragen.

Die US-Immobilienkrise weitete sich zu einer internationalen Banken- und Finanzkrise aus, und 2008/2009 stürzte die Weltwirtschaft in die tiefste Rezession seit den dreißiger Jahren. Nicht allein den Managern, sondern auch den Politikern fuhr damals der Schrecken in die Glieder. Weitgehend einig war man sich sogar, dass der Markt versagt hatte. Doch dreieinhalb Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise kommt die Regulierung von Banken und Finanzmärkten nur schleppend voran.

In Deutschland blieb es bei Symbolpolitik. Zunächst die schwarz-rote Große Koalition und dann die ebenfalls von Angela Merkel geführte schwarz-gelbe Regierung regelten die Einkommen von Bankmanagern neu, verboten Leerverkäufe von Aktien, die man nicht besitzt, und regulierten sogenannte Verbriefungen, bei denen Kredite in Wertpapiere umgewandelt werden. Spekulationen mit solchen Verbriefungen von US-Immobilien gelten als Auslöser der Krise.

"Die Maßnahmen sind alle nicht durchgreifend", kritisiert jedoch Detlev von Larcher,Mitglied des Attac-Vorstands. So hat der Bundestag im Sommer ein Gesetz verabschiedet, wonach Banken einen Teil einer Verbriefungstransaktion in ihrer Bilanz halten müssen. Das soll Mogelpackungen verhindern. Doch der Eigenanteil bleibt mit zehn Prozent eher Kosmetik, und die EU sieht sogar nur fünf Prozent vor. Und bei der staatlichen Finanzaufsicht - die von der Krise überrumpelt wurde - bleibt es bei der umstrittenen Trennung zwischen Bundesbank und Bafin.

Die Kosten der Krise kennt noch niemand

Und wer zahlt die Zeche? Für die Kosten der Krise werden die deutschen Banken pro Jahr etwa eine Milliarde Euro an "Finanzaktivitätsteuer" zahlen müssen, schätzt der Bankenverband BdB. Für den "Banken-Restrukturierungsfonds" könnte eine weitere knappe Milliarde fällig werden. Angesichts von 500 Milliarden Euro an Bürgschaften und Kapitalhilfen, die alleine der Bund im Rahmen der Finanzmarktkrise aufbrachte, sind das Peanuts. So drohen die allermeisten Kosten bei den Bürgern hängen zu bleiben.

Nicht allein in Deutschland sind die Bankenabgaben "lächerlich" gering, findet der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold. Trotzdem wehrt er sich gegen den pauschalen Vorwurf, es sei nichts passiert und alles gehe so weiter wie gehabt. "Es gibt einen riesigen Gesetzgebungsaktivismus, hauptsächlich europäisch beziehungsweise weltweit, und das dauert halt alles." Deswegen existierten die relevanten Großbaustellen noch immer. "Solange die nicht fertig sind, ist es auch schwer, ein endgültiges Urteil zu fällen."

Vor einem vorschnellen Urteil warnt auch die Politologin Cornelia Woll vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. "Erfolg der Rettungspläne und Kosten für den Steuerzahler können erst nach Ablauf der Maßnahmen ermessen werden", fasst sie ihre Forschungen über Europa und die USA zusammen.

Für das schleppende Tempo, mit dem die Regulierung nur gemächlich voranschreitet, machen Beobachter die Kompliziertheit der Materie verantwortlich, unterschiedliche Banksysteme und die Konkurrenz der Finanzmetropolen - aber auch die Bremsspuren der Bankenlobby. Außerdem wird die große Mehrheit der EU-Mitgliedsländer mehr oder weniger wirtschaftsliberal regiert und im Europaparlament dominiert eine konservativ-liberale Übermacht, die im Zweifel weniger Staat und mehr Markt will.

Aufsicht aus einer Hand?

Ein Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft ist da schwer durchzusetzen. Die im Januar eröffneten drei europäischen Finanzaufsichtsämter in Frankfurt, London und Paris hält Giegold für einen "großen Schritt vorwärts, auch wenn ich mir mehr gewünscht hätte". So bleibe die Konkurrenz durch die 27 nationalen Aufsichtsbehörden; Reibungsverluste sind da vorprogrammiert. Und jede Kontrolle kann nur so gut sein wie die Gesetze, deren Einhaltung sie kontrolliert.

"Die Regulierungsbehörden leiden darunter, dass sie mangels Regulierung zu wenig verbindlich zu kontrollieren haben", warnt Rudolf Hickel, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Bremen, vor Spätfolgen. Wissenschaftliche Untersuchungen aus den USA zeigten, dass der Abbau von Regulierungen, etwa mit dem Bankengesetz von 1994 durch Bill Clinton, die Expansion kreditfinanzierter Spekulationsgeschäfte und damit die große Krise erst ermöglicht habe.

Eine Sorge treibt Giegold um: "Haftet in der nächsten Krise wieder der Staat?" Zum Umgang mit systemrelevanten Banken will die EU-Kommission erst im Sommer einen Vorschlag vorlegen - vier Jahre nach Ausbruch der Krise. Auch Ökonom Hickel warnt vor weiteren globalen Regellücken, etwa den Steueroasen, und er fordert die strickte Trennung der Geschäftsbanken vom spekulativen Investmentbanking. Eine weitere Fallgrube hat der linke Bundestagsabgeordnete Axel Troost entdeckt: "Fast unregulierte Fonds könnten in die Lücke springen, die die Banken nicht mehr füllen dürfen." Noch in diesem Sommer werden hochspekulative Hedge-Fonds wohl wieder ihr Allzeithoch von über 10.000 Fonds erreichen. Nach der Krise ist vor der Krise.


Hermannus Pfeiffer ist Wirtschaftsexperte und Journalist in Hamburg.