Simulierter Marsflug geht an die Substanz
Die Vorstellung, 520 Tage in strengster Isolation in einem Metallcontainer zu verbringen, ohne frische Luft und Tageslicht, wäre für die meisten Menschen ein wahrer Alptraum. Nicht so für die sechs "Astronauten", die sich seit Juni 2010 an einem ungewöhnlichen Projekt beteiligen: Sie simulieren in Moskau einen Flug zum Mars.
14.02.2011
Von Barbara Driessen

Nach rund 250 Tagen im Moskauer "Weltall" ist nun Halbzeit für die Mars500-Mission. Am Montag simulierten zwei Astronauten in schweren Raumanzügen den Ausstieg auf den Mars. "Was sie dort sehen, ist eine nachgebaute Marsoberfläche, eine Art Sandwüstenlandschaft", sagt Peter Preu von der Abteilung Raumfahrtmanagement des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln. Nach einem offiziellen Aufenthalt auf dem Mars von 30 Tagen braucht die Crew anschließend noch einmal 240 Tage für die Rückkehr. Die "Landung" auf der Erde ist für Anfang November geplant.

Das Schlimmste sei mit Abstand die Isolation, sagt Bundeswehr-Hauptmann Oliver Knickel, der 2009 im Moskauer Institut am sogenannten Mars105-Projekt teilnahm. Damals simulierten sechs Crewmitglieder ebenfalls einen Marsflug, allerdings nur für 105 Tage. "Die Isolation ist eine ungeheure psychische Belastung", weiß Knickel. Denn so etwas wie eine Privatsphäre gibt es im Container nicht. In dem insgesamt 180 Quadratmeter großen Gehäuse gibt es keinen Platz für persönliche Gegenstände der Crewmitglieder. "Man hat lediglich eine drei Quadratmeter große Kajüte, in der eigentlich nur das Bett von zwei Meter Länge und 60 Zentimeter Breite hineinpasst", erzählt er.

Sich mit der Familie zu Hause zu verständigen, ist mehr als schwierig. Denn die Kommunikation per Funk zur "Bodenstation" findet genauso wie im Weltraum mit wachsender Entfernung zur Erde zeitverzögert statt - im ungünstigsten Fall also 20 Minuten in eine Richtung. "Dabei sehnt man sich danach, sich mal endlich wieder mit einem anderen Menschen zu unterhalten", sagt Knickel. "Denn wenn man immer nur mit den denselben fünf Personen zusammen ist, dann hat man sich irgendwann alle Geschichten voneinander erzählt."

Die Enge schadet dem Gehirn

Knickel machte zudem die Erfahrung, sich in der Isolation viel schlechter konzentrieren zu können. "Die Enge scheint auch irgendwie den Geist einzuengen", sagt er. Er vermutet, dass das Gehirn bei einer wechselnden Umgebung mehr Reizen ausgesetzt ist und so mehr stimuliert wird. In der Isolation sei jedoch immer alles genau das Gleiche: "Was ich heute mache, mache ich auch morgen, in zehn Tagen und in 100 Tagen." Die Crew versucht sich mit einer täglichen Stunde Sport fit zu halten, "was aber aufgrund des begrenzten Raumes sehr mühsam ist und viel Disziplin erfordert", sagt er. Auch die begrenzten Hygienemöglichkeiten seien ein Problem: "Duschen gibt es nicht, also können wir uns nur mit einem nassen Handtuch abreiben."

Auch kulinarisch kommen die Probanden nicht wirklich auf ihre Kosten. Denn der Speiseplan ist streng reglementiert und wurde von der Universität Erlangen-Nürnberg zusammengestellt. Um die Auswirkungen von Kochsalz auf den menschlichen Körper zu testen, bekamen die Astronauten auf dem Hinflug ausschließlich Speisen, bei denen die Kochsalzzufuhr von zunächst 12 auf neun und schließlich auf sechs Gramm täglich reduziert wurde.

"Kam mir vor wie in einer Parallelwelt"

Nach 40 bis 60 Tagen konnten die Wissenschaftler des "Bodenteams" feststellen, dass sich der Blutdruck der Crew gesenkt hatte. "Aus den Ergebnissen, die wir erwarten, können wir sowohl für die Raumfahrt als auch für die Medizin auf der Erde großen Nutzen ziehen", sagt der Leiter des DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin, Professor Rupert Gerzer.

Die Crew führt während der Mission insgesamt 100 Experimente aus den Bereichen Psychologie, klinische Diagnostik, Physiologie und Mikrobiologie durch. Elf Experimente stammen von deutscher Seite. Von besonderem Interesse sind dabei die Auswirkungen der langen Isolation auf die Psyche, die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Crew. "Ich kam mir vor wie in einer Parallelwelt", erzählt Oliver Knickel. Ein paar Mal in der Woche bekam er Nachrichten von draußen mit. "Aber ich war sehr distanziert dazu, alles hatte keinen richtigen emotionalen Bezug für mich."

Am Montag unternahmen der Russe Alexander Smolejewski und der Italiener Diego Urbina die ersten Schritte auf einer nachgestellten Mars-Oberfläche. Sie seien nach mehr als achtmonatiger Isolation für rund 50 Minuten aus einem Container gestiegen, teilte das Moskauer Institut für biomedizinische Probleme (IMBP) mit. Auf dem in einer Halle simulierten Roten Planeten rammten die beiden in Raumanzüge gekleideten Männer eine russische Trikolore sowie die Europaflagge mit Sternenkranz in den Sand und entnahmen Bodenproben.

Echte Marsfahrt in 30 Jahren?

Smolejewski und Urbina sowie der Chinese Wang Yue stellen in den kommenden Tagen zwei weitere Ausflüge auf dem Himmelskörper nach. Dabei hilft ihnen im Rahmen des Projekts Mars500 ein Roboterfahrzeug ("Mars-Mobil"). Drei weitere Probanden - die Russen Alexej Sitjow und Suchrob Kamolow sowie Romain Charles aus Frankreich - warten bis Ende Februar im benachbarten "Mutterschiff" auf ihre Kollegen.

Bis die Erfahrungen der Astronauten auf einer tatsächlichen Marsmission von Nutzen sein können, wird wohl noch lange dauern - etwa 30 bis 40 Jahre. "Zum einen fehlt das Geld", sagt Peter Preu vom DLR. "Und zum anderen sind 30 Jahre für uns absolut nicht lang. Denn schon eine solche Studie braucht oft zehn Jahre bis zur Realisation."

epd / mit Material von dpa