Aufforderung zum Protest gegen Neonazis: "Mischt Euch ein!"
Kirchentagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt und Generalsekretärin Ellen Ueberschär fordern zum Protest gegen den geplanten Neonazi-Aufmarsch in Dresden auf. Wir dokumentieren ihren offenen Brief an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kirchentages in Dresden und Fulda in Auszügen.
11.02.2011
Von Katrin Göring-Eckardt und Ellen Ueberschär

Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,

kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges, am 13. Februar 1945, wurde das historische Dresden durch einen Bombenangriff zerstört. Der 13. Februar 1945 ist in der Kirchentagsstadt 2011 ein bedeutendes Datum, denn das Ereignis hat sich tief im Bewusstsein der Stadt verankert und ist wie kaum ein anderes Kriegsereignis in Deutschland zum Objekt politischer Inanspruchnahme geworden. Die Geschichte des 13. Februars in Dresden steht in vielerlei Hinsicht stellvertretend für den Umgang mit unserer Vergangenheit, sie ist reich an Verklärungen, an Versuchen, die Geschichte für die eigenen Zwecke in Anspruch zu nehmen, und ist gespickt mit Lügen und Verdrehungen der historischen Tatsachen.

Die Politisierung der Geschichte

Bereits die SED versuchte die Bombardierung politisch auszuschlachten, indem sie zu Beginn der 50er Jahre am 13. Februar DDR-weite Kundgebungen organisierte und der "anglo-amerikanischen Kriegsführung" die Schuld für die Zerstörung der Stadt gab. (…)

International bekannt wurde die Bombardierung Dresdens durch den britischen Autor und Holocaust-Leugner David Irving. In seinem Buch "Die Zerstörung. Der Untergang Dresdens" lieferte er für die Rechtsextremen schon 1963 den Grundstein für geschichtsverdrehende Mythen. Irving fälschte Dokumente, setzte die Zahl der Toten um den Faktor zehn nach oben und leistete so einer Legendenbildung Vorschub, die auch die Diskussion innerhalb der Dresdner Bürgerschaft über Jahrzehnte mit beeinflusste. Eine 2005 von der Stadt Dresden beauftragte Historikerkommission ermittelte übrigens eine Mindestzahl von 20.000 und eine Höchstzahl von 25.000 durch die Luftangriffe getöteten Menschen.

Nach der friedlichen Revolution, in deren Folge der Wiederaufbau der Frauenkirche die städtische Diskussion um den 13. Februar bestimmte, begannen ab Mitte der 1990er Jahre Neonazis die Bombardierung Dresdens als Vehikel für die Verbreitung menschenverachtender Politik zu missbrauchen. Was als kleine Demo der Ewiggestrigen begann, zieht in den letzten Jahren Tausende Neonazis aus ganz Europa nach Dresden. (…)

Der Streit ums Gedenken und den Protest

So alt wie der Versuch, die Zerstörung Dresdens für die politische Propaganda auszuschlachten, sind auch die Bemühungen der Bürgerinnen und Bürger und der Stadt Dresden, den 13. Februar angemessen zu begehen. Die offizielle Hauptveranstaltung findet jährlich am Morgen des 13. Februar auf dem Heidefriedhof statt, denn dort liegen viele der Opfer in Massengräbern. Fast nahtlos an die Instrumentalisierung dieser Veranstaltung durch die SED knüpften die Rechten an, indem sie sich in diese offizielle Gedenkfeier nach 1990 einreihten und Kränze niederlegten. (…)

In diesem Jahr ist die Lage unübersichtlicher: Am Sonntag, dem 13. Februar 2011, werden die "Freien Kameradschaften" ihren sogenannten Trauermarsch durchführen. Anders als in den Vorjahren haben sie aber keine Umzüge in der Innenstadt, sondern in den Plattenbaugebieten Prohlis und Gorbitz angemeldet. Die Oberbürgermeisterin "lädt gemeinsam mit den demokratischen Fraktionen des Stadtrates, Vertreterinnen und Vertreter von Wirtschaft und Wissenschaft, Kultur, Sport, Gewerkschaften und Kirchen, mit der jüdischen Gemeinde und zivilgesellschaftlichen Akteuren alle Bürgerinnen und Bürger zum gemeinsamen Handeln am 13. Februar 2011 ein". Derzeit ist vorgesehen, dass die Menschenkette am 13. Februar zwischen 13 und 14 Uhr die Elbe überspannt. (…)

Die Arbeitsgemeinschaft "Kirche für Demokratie – gegen Rechtsextremismus" ruft unter der Überschrift "Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe zum Mahnen und Beten für unsere Stadt" auf, sowohl zum 13. als auch zum 19. Februar in Dresden.

Auch die Dresdner Geschäftsstelle des Kirchentages hat für den 19. Februar auf der Ostraallee vor unserem Hause eine Mahnwache angemeldet. Wenn wir auf einer der Magistralen der Stadt gedenken, für unsere Gastgeber beten und Lieder aus dem neuen Kirchentagsliederbuch singen, dann kann in dieser Zeit niemand dort marschieren.

Was hat der 13. Februar mit uns, mit dem Kirchentag zu tun?

Ihr werdet Euch fragen, warum wir so ausführlich die Bedeutung und die Geschichte des 13. Februars in Dresden darlegen? Sind wir als Kirchentag nicht Gäste in dieser Stadt und ist es nicht unsere alleinige Aufgabe, den 33. Deutschen Evangelischen Kirchentag Dresden vorzubereiten und durchzuführen? Sollten wir uns nicht der politischen Einmischung auch in diesem Fall entsagen?

Eine solche Haltung würde dem Auftrag, dem sich der Deutsche Evangelische Kirchentag seit Gründung verpflichtet fühlt, widersprechen. Gerade wegen des politischen Versagens der Amtskirche in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus hat sich der Evangelische Kirchentag in bewusster organisatorischer Trennung von der Kirche als Laienbewegung gegründet. (…)

Der Evangelische Kirchentag ist den dargelegten Zielen in den mehr als 60 Jahren seines Bestehens treu geblieben. Wo immer die Würde von Menschen nicht geachtet wird, sind wir gefordert. Allen Nazis, ob alt oder neu, ist die Missachtung der Menschenwürde gemein. Unser Streben gilt der Verbreitung der Nächstenliebe - konträrer können Positionen nicht sein. Darum darf es nie wieder dazu kommen, dass Christinnen und Christen tatenlos zusehen, wenn eine Politik nach Macht und Einfluss greift, die Menschen nach Aussehen, Herkunft, sexueller Orientierung oder religiöser Überzeugung diffamiert, schikaniert oder selektiert. (…)

Unsere Bitte: Mischt Euch ein!

Wir wissen nicht, ob es richtige oder falsche Formen des Protestes oder des Gedenkens gibt. Mahnen und beten? Blockieren oder einreihen in die Menschenkette? Oder geht vielleicht beides?

Zusammen mit vielen anderen Organisationen hat der Kirchentag den Aufruf der Stadt unterschrieben. Wir halten am 19. Februar von 11 bis 17 Uhr selbst eine Mahnwache auf der Ostraallee ab und wollen nach unseren Kräften auch die Mahnwachen der Kirchen am 13. und 19. Februar unterstützen. Wir halten es für legitim und wünschenswert, wenn der Umzug der Nazis wie im letzten Jahr an den gewaltfreien Blockaden scheitert.

Gleich welche Form der politischen Aktion Ihr persönlich bevorzugt, uns ist wichtig, dass Ihr Euch auf die eine oder andere Art einmischt. Euch steht es frei, Aufrufe zu unterzeichnen und Euch für Mitmenschlichkeit und gegen Menschenfeindlichkeit in jedweder Form gewaltfrei zu engagieren. Bitte mischt Euch ein! Helft mit, unsere Gastgeberinnen und Gastgeber, die Stadt Dresden, das Land Sachsen, die Evangelische Landeskirche und die freundlichen Bürgerinnen und Bürger nach bestem Wissen und Gewissen am 13. und 19. Februar zu unterstützen.

Eure

Katrin Göring-Eckardt und Ellen Ueberschär


Der Brief im Volltext steht hier.