TV-Tipp: "Tatort: Borowski in der Unterwelt" (NDR)
In der Kanalisation treibt schon seit Jahrzehnten ein Unhold sein Unwesen. Der Täter ist nicht etwa ein Monster, sondern der Priester von nebenan: Pfarrer Benz bezichtigt sich des Massenmordes.
11.02.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Tatort: Borowski in der Unterwelt", 14. Februar, 21.00 Uhr im NDR

Es ist schon faszinierend, wie sich die Reihe "Tatort" immer wieder neu erfindet. Mehr noch als die regionalen Eigenheiten sind es die ständig wechselnden Einflüsse der Autoren und Regisseure, die dem Klassiker die ewige Jugend erhalten. Und wohl auch die Sparsamkeit: Wer weiß, wie der kantige Klaus Borowski in der Zuschauergunst abschneiden würde, wenn man ihn regelmäßig aushalten müsste. In "Borowski in der Unterwelt" zeigt er allerdings auch andere Seiten; und er macht Fehler, folgenreiche Fehler sogar. Alles richtig hat hingegen Sascha Arango gemacht. Der mehrfach ausgezeichnete Autor, bekannt für seine schrägen Stoffe ("Eva Blond", "Der letzte Kosmonaut"), konfrontiert den Kieler Kommissar (grandios wie stets: Axel Milberg) mit den menschlichen Abgründen.

Pfarrer Benz bezichtigt sich des Massenmordes

Und das im Wortsinne: Weite Teile des Films spielen in der Kanalisation. Dort treibt offenbar schon seit Jahrzehnten ein Unhold sein Unwesen. Sämtliche ungeklärten Morde der letzten Jahre scheinen auf einen Schlag gelöst. Doch der Täter ist nicht etwa ein Monster, sondern der Priester von nebenan: Pfarrer Benz (Uwe Bohm als würdiger Gegenspieler) bezichtigt sich des Massenmordes. Sollten da zwei Seelen in einer Brust schlummern? Immerhin ist der Mann ein Seelsorger, wie man ihn sich nur wünschen kann; Borowski glaubt ihm kein Wort. Die Entführung eines kurz zuvor verschwundenen Mädchens leugnet Benz jedoch; das hält den Vater der jungen Frau nicht davon ab, ihn niederzuschießen. Während Benz in Lebensgefahr schwebt, gibt es für Borowski nur eine Möglichkeit, Licht ins Dunkel zu bringen: Er muss hinab in die Unterwelt, wo ihn die wohl größte Überraschung seiner Laufbahn erwartet. Doch selbst damit ist der Fall noch nicht restlos geklärt.

Nun ist man ja mitunter ratlos oder sogar verärgert, wenn am Ende Fragen offen bleiben. Hier ist das anders. Es steigert im Gegenteil den Realitätsgehalt einer ungewöhnlich morbiden und zudem in jeder Hinsicht surrealen Geschichte, die eigentlich völlig unrealistisch wirkt. Doch wie sagt Milberg ganz treffend: "Je mehr man eindringt in Kriminalfälle, um so unglaublicher sind die Details". Bei Regisseurin Claudia Garde ist Arangos Geschichte vom Phantom der Unterwelt ohnehin in guten Händen. Unglaublich gut ist neben dem Drehbuch und der Führung der Darsteller auch die Kameraarbeit von Martin Farkas: Das strahlende Licht der Oberwelt mit seiner fast schon überirdischen Sanftheit könnte kein größerer Kontrast zu den schummrigen Lichtverhältnissen unten in den Kanälen sein.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).