Die katholische Kirchenliturgie hat bis in das letzte Jahrhundert hinein den Valentinstag als Tag der Ankunft Christi als himmlischer Bräutigam gefeiert. Und bis heute ist der Valentinstag der Tag der Liebespaare und oft genug in Gefahr, zu einem kommerziellen Event zu verkommen. Dabei droht das Wesentliche aus dem Blick zu geraten, auf das dieser Tag eigentlich hinweisen möchte – auf das Wunderbare und Einzigartige der geschlechtlichen, der erotischen Liebe.
Liebe – eine existentielles Gefühl
In der Begegnung mit unserem Liebespartner wird uns bewusst, dass die Liebe eine besonders starke existentielle Erfahrung ist, die alle anderen alltäglichen Erfahrungen übersteigt. Wer Liebe von einem anderen Menschen erfährt, erlebt sie zumeist wie ein Wunder, unerwartet und mit großer, weit tragender Kraft. Diese Liebe muss man nicht entdecken, eher ist es umgekehrt, die Liebe erfasst uns und nimmt uns mit. Im englischen Sprachraum gibt es einen schönen Ausdruck dafür – to fall in love, "in die Liebe fallen". Das gilt für die erste Verliebtheit und, so hofft es jedes Liebespaar, auch weit darüber hinaus, vielleicht für ein ganzes Leben. Liebe - das ist eine Urkraft der Menschheit. Sie hebt die Vereinzelung der Menschen auf und lässt einen Hauch der göttlichen Kraft spüren. In ihr klingen Transzendenzerfahrungen an, an denen unsere Zeit so arm ist. Liebe erfasst uns geistig, seelisch und körperlich.
Liebe - ein Gefühl mit Widersprüchen
Doch einfach wird es trotzdem nicht, auch das wissen wir aus Erfahrung: Liebe kann und muss in immer wieder neuen gegensätzlichen Bestimmungen beschrieben werden, fasst Akademiedirektor Dr. Frank Vogelsang die Eindrücke der Tagung zusammen. Die Liebe braucht ein Gegenüber, und doch kann sie Distanzen überwinden. Die Liebe ist eine elementare Kraft, und doch ist sie darauf angewiesen, dass wir sie pflegen, achten und fördern. Die Liebe ist ein Gefühl, und doch findet sie auch Ausdruck in Handlungen, die wir planen und gestalten. Liebe ist die größtmögliche Bestätigung eines Menschen in seiner einzigartigen Existenz, sie setzt Freiheit voraus und gewährt Freiheit, und doch gehört zur Liebe auch die Erfahrung der Abhängigkeit und des Angewiesenseins auf den Menschen, von dem man sich geliebt weiß.
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Weil Liebe so vielfältig und komplex ist, verbinden sich mit ihr Erfahrungen des höchsten Glücks, aber auch des Scheiterns. In der zeitgenössischen Kultur dominiert nicht so sehr die gelingende Liebe, sondern eher die tragische, die unerfüllte, die sehnsüchtige Liebe. Diese Liebe weckt in der Musik, im Film große Emotionen - nicht von ungefähr war Titanic der erfolgreichste Film aller Zeiten.
Wenn Liebe, die wir Menschen erfahren, einfach, eindeutig und gut wäre, dann wäre auch schnell alles über sie gesagt. Doch die Liebe ist schillernd. Die Liebe zweier sich naher Menschen kann umschlagen in Vereinnahmung, die Liebe zum Nächsten kann das ehrgeizige Ziel der eigenen persönlichen Selbstvervollkommnung werden.
"Der Liebe auf die Spur kommen" ist deshalb eine Losung, die Weisheit verlangt, wenn man sie befolgen will - eine Weisheit in der Tradition der biblischen Weisheit, die beides miteinander verbindet: Die Suche nach dem wahrhaft guten Leben und die Suche nach Gott.
Liebe - mehr als Verliebtheit und Erotik
Und damit weitet sich der Blick: Auch wenn am Valentinstag die Liebespaare im Mittelpunkt stehen, ist die erotische Liebe nur eine Form der Liebe. "In tausend Formen magst du dich verstecken, Doch, Allerliebste, gleich erkenn ich dich…" was Goethe über seine Geliebte sagte, lässt sich auch über die Liebe selbst sagen: Sie begleitet unseren Lebensweg vom Anfang bis zum Ende in ihren unterschiedlichen Formen: Die Liebe der Eltern gegenüber ihrem Kind, die Liebe als Geborgenheit, die Liebe zu nahen und vertrauten Menschen, die "erste Liebe", die Liebe als Erotik, die Liebe zum Lebenspartner und Ehegatten, die Liebe als Fürsorge und schließlich, alles überwölbend, die Liebe zu Gott.
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Häufig ist es nur unsere fehlende Wahrnehmungsfähigkeit und Sensibilität, die Liebe auch in unserem Alltag, auch in unscheinbaren Gestalten zu entdecken. Es ist sicherlich eine der größten Herausforderungen, sich immer wieder der Liebe bewusst zu werden, die uns nahe ist, auch wenn sie nicht mit großen Gesten und starken Gefühlen verbunden ist. Liebe lässt sich nicht eingrenzen und auch nicht auf bestimmte Gestalten fixieren.
Liebe - begründet in der Beziehung Gottes zu den Menschen
Dass Liebe allgegenwärtig ist, ist aus theologischer Sicht nicht verwunderlich, denn die Liebe gründet in der Beziehung Gottes zu den Menschen. Weil Gott Mensch wurde, weil sich darin seine Liebe zu den Menschen zeigte, deshalb werden wir diese Liebe nicht los, prägt sie uns auch dann, wenn wir überhaupt nicht über Gott nachdenken. Und umgekehrt gilt: Wenn man bedenkt, wie vielfältig die Liebe sich zeigen kann, als Eros, als Agape, als Caritas, als Sexus, als Sehnsucht, als Vertrauen, dann zeigt sich, wie viele Spuren Gottes es in dieser Welt gibt. Liebe ist etwas sehr Lebensnahes, dem wir stets begegnen können und das wir doch immer wieder neu entdecken müssen.
Liebe ist – ein umfassendes Gefühl
"All das muss – und kann – heute wiederentdeckt werden, wenn wir die Krise der Liebe überwinden wollen; wenn wir zu einer Kultur von Sexualität und Körperlichkeit zurückfinden wollen, die den spirituellen Zauber des Lebens nicht fahrlässig unterdrückt und ausblendet; wenn wir der lebensfeindlichen Pornographisierung der leiblichen Liebe eine lebensfreundliche Erotisierung entgegenhalten wollten. Und wenn wir die geistige Krise unserer angestammten Religion überwinden wollen, indem wir dem Schlüsselkonzept der christlichen Theologie, Ethik und Spiritualität – der Liebe - eine dieser göttlichen Kraft im Leben angemessene Deutung zukommen lassen wollen", meint der Philosoph und Theologe Dr. Christoph Quarch. Sein Vortrag "Eros und Agape – Zwei grundverschiedene Welten oder zwei Seiten derselben Medaille?", gehalten auf der Tagung "Der Liebe auf die Spur kommen" an der Evangelischen Akademie im Rheinland, ist hier zum Nachhören bereit gestellt.
Zum Weiterlesen
Frank Vogelsang, Johannes von Lüpke (Hg.): Der Liebe auf die Spur kommen. Ein Phänomen im sozialen, religiösen und kulturellen Kontext, Bonn 2010, 12,00 Euro
Hella Blum ist Öffentlichkeitsbeauftragte der Evangelischen Akademie im Rheinland.