Pharaos verstocktes Herz und die friedliche Revolution
"Gott ist ein Gott der Freiheit", sagt Pfarrerin Petra Schulze in ihrer Morgendacht im Deutschlandfunk an diesem 11. Februar 2011. Die aktuelle Situation in Ägypten vergleicht sie mit der biblischen Erzählung vom Volk Israel in Ägypten, das sich mit Gottes Hilfe aus der Unterdrückung befreite.
11.02.2011
Von Pfarrerin Petra Schulze

"Ägypten wird explodieren. Die Armee muss das Land jetzt retten." So twitterte gestern Abend einer der führenden Oppositionellen Ägyptens, der Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei. Nach 17 Tagen Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz mitten im Zentrum von Kairo schien der Sieg über das Regime für einige Stunden so nah. Das Militär kündigte die Erfüllung der Wünsche und Forderungen der Demonstranten an, eine Rede von Mubarak an das Volk im Staatsfernsehen stand bevor. Die Hoffnung auf einen Rücktritt Mubaraks war in greifbarer Nähe. Die Stimmung auf dem Tahrir-Platz glich einem Freudenfest.

Eine neue Verfassung und Neuwahlen, das war der Traum. Doch ein Weitermachen unter dem jetzigen Präsidenten, das schien undenkbar. Und dann seine Ansprache, die atemlos machte. Hilflos und zornig ließ sie die Demonstrierenden zurück. Husni Mubarak, der von seinem Volk auch "der Pharao" genannt wird, gab sich als Vater der Nation, der sich seiner Verantwortung bis zum Ende stellen will. Seine Amtsgeschäfte übergab er seinem Vizepräsidenten Suleiman, aber er trat nicht von seinem Amt zurück. Den Schrei seines Volkes nach Freiheit schien er nicht verstanden zu haben.

Ähnlich taub war auch ein Pharao zu biblischer Zeit (2. Mose). Er hatte das Volk Israel versklavt und ließ auf dessen Rücken einige der Prachtmonumente seines Reiches bauen. Zehn Plagen schickte Gott ihm, um ihn zur Freilassung des Volkes zu bewegen. Am Ende stand dann auch der Auszug des Volkes Israel aus der Unterdrückung in die Freiheit.

Das ägyptische Volk will Freiheit

Und so steht Ägypten nicht nur für das einmalige bauliche Weltkulturerbe mit seinen Pyramiden und Mumien, den Tempeln, Moscheen und christlichen Klöstern. Sondern der Name dieses Landes ist auch mit einer besonderen Erfahrung verbunden, die so etwas wie ein geistiges Weltkulturerbe geworden ist, aus dem Menschen bis heute Kraft und Mut schöpfen. Es ist eine Erfahrung, die zur Wurzel des jüdischen Glaubens wurde und auf die sich auch Christen berufen. Es ist die Erinnerung daran: Gott ist ein Gott der Freiheit und nicht der Unterdrückung und Sklaverei.

Heute will das ägyptische Volk selbst Freiheit. Mit friedlichen Mitteln verlangt es ein demokratisches Land nach Jahrzehnten der Unterdrückung. Dass diese Nacht zu Ende gegangen ist, ohne dass bislang die schlimmsten Befürchtungen eingetreten sind, grenzt nach den hunderten Toten, die schon zu beklagen sind, an ein Wunder. Viele in unserem Land haben für dieses Wunder und einen möglichst friedlichen Verlauf der Revolution in Ägypten gebetet. Man kann nur hoffen, dass es bei dem heutigen "Marsch der Millionen" so friedlich wie möglich bleiben wird. Und dass sich auf dem Platz der Befreiung weiterhin Szenen wie diese abspielen werden: Ägyptische Christen haben die Hände zum Gebet erhoben, manche halten Holzkreuze in den Händen.

Ermutigende Szenen auf dem Tahrir-Platz

Um diese koptischen Männer und Frauen herum haben sich muslimische Mitdemonstranten aufgestellt. Sie bilden um sie einen Ring, damit die Christen sich ungestört mit ihrem Flehen an Gott wenden können. Die muslimischen Bürger schützen sie so vor der Gefahr, von gekauften Schlägern des Regimes geprügelt oder nieder geritten zu werden. Als die ägyptischen Christen ihr Gebet beendet haben, wechseln sie die Rollen: Jetzt knien die Muslime nieder und beten, während die Christen um sie einen Kreis bilden. Manche haben sich einen Halbmond und ein Kreuz ineinander verschlungen auf die Haut gemalt. So beteten sie in der vergangenen Woche an einem Ort, Muslime und Christen, vielleicht auch heute wieder.

Ein Korrespondent der ARD sagte: Zwei Stunden auf diesem Platz genügen, um wieder an das Gute im Menschen glauben zu können. Mit diesen Bildern und diesen Stimmen will ich hoffen und beten:
Dass die ägyptische Bevölkerung einen langen Atem behält, dass ihr Schrei nach Freiheit, nach Brot und Arbeit, nach Einhaltung der Menschenrechte endlich gehört und verstanden wird. Damit die Ägypter ein neues Kapitel ihrer Geschichte aufschlagen können und in eine Zukunft gehen, in der das Recht geachtet wird und Menschen verschiedenen Glaubens friedlich miteinander leben werden.


Pfarrerin Petra Schulze ist als evangelische Senderbeauftragte für Deutschlandradio und Deutsche Welle in Berlin tätig.