Im Schatten von Kairo: Algerische Opposition macht mobil
Korruption, Unterdrückung und Unfreiheit: Auch in Algerien haben die Menschen genug vom autoritären System. Am Samstag soll trotz Verbots eine große Protestbewegung starten. Die Opposition fürchtet Gewalt und Chaos, sollte der Präsident nicht freiwillig die Macht abgeben.
09.02.2011
Von Ansgar Haase und Houria Aït Kaci

Erst Tunesien, dann Ägypten und als nächstes Algerien? Auch im größten Land Nordafrikas scheint sich eine Revolution anzubahnen. Im Schatten der Ereignisse in Tunis und Kairo wächst in Algerien der Zorn gegen die autoritäre Herrschaft von Präsident Abdelaziz Bouteflika. Für diesen Samstag haben Systemgegner trotz eines Demonstrationsverbots zu einem großen Protestmarsch durch die Hauptstadt Algier aufgerufen. Seit Wochen machen nahezu täglich immer wieder Menschen mit Selbstverbrennungen und Hungerstreiks auf die Perspektivlosigkeit in ihrem Land aufmerksam.

Die Forderungen der Oppositionellen sind klar. Sie streben genauso nach Freiheit und Demokratie wie die Menschen in Tunesien und Ägypten. "Wir verlangen einen grundlegende Änderung des politischen Systems, wie es seit 1962 existiert", sagt der Menschenrechtler Khelil Abdelmoumen. In diesem Jahr wurde Algerien von Frankreich unabhängig. "Ein von der Korruption durchdrungenes System wird sich nicht selbst reformieren können." Zusammen mit anderen Oppositionellen hat der Generalsekretär der algerischen Menschenrechtsliga LADDH den Protestmarsch organisiert. "Wir schauen zu, wie die Bevölkerung in den arabischen Ländern aufsteht. Wir können nicht außen vor bleiben."

Präsident macht Versprechungen

Aus Angst um seine Macht hat Präsident Bouteflika bereits weitreichende Versprechungen gemacht. "In naher Zukunft" solle der seit 19 Jahren geltende Ausnahmezustand aufgehoben werden; Oppositionelle würden im nationalen TV und Rundfunk künftig gleichberechtigt behandelt werden, sicherte der autoritäre Staatschef vergangene Woche zu. Zuvor hatte die Regierung Preissenkungen für Grundnahrungsmittel wie Zucker und Speiseöl in Aussicht gestellt.

Beruhigen konnte das jedoch kaum jemanden - zumal das Demonstrationsverbot für die Hauptstadt Algier weiter bestehen bleibt. Bei ersten Massenunruhen im Januar knüppelte die Polizei Demonstranten nieder und setzte Tränengas ein. "Die Macht ist Mord" und "Bouteflika verschwinde" hatten die wütenden Protestler skandiert. Dass sich der Präsident bislang relativ problemlos an der Macht halten konnte, hat er neben offensichtlichen Wahlfälschungen den reichen Öl- und Gasvorkommen im Land zu verdanken. Um sich das Wohlwollen der Bevölkerung zu erkaufen, verteilte der Staatschef nicht selten teure Geschenke. Bauern wurden Schulden erlassen, für die Industrie gab es milliardenschwere Investitionsprogramme.

Jugend träumt vom Ausland

Auf der Strecke blieb dennoch die Jugend. Sie ist angesichts der fehlenden Zukunftsperspektiven im Land völlig desillusioniert und träumte bislang vor allem von einem Leben im Ausland. 70 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 30 Jahre. Viele riskieren ihr Leben, um illegal ihr Glück in Europa zu suchen. "Harragas" werden diese Flüchtlinge genannt.

Die Opposition will nun alles daransetzen, dass Bouteflika nicht noch einmal seinen Kopf aus der Schlinge zieht und hält selbst einen blutigen Bürgerkrieg für möglich. "Wenn die Machthaber sich gegen einen friedlichen und demokratischen Wandel sperren, wird es Chaos und Gewalt geben, und das sogar noch mehr als in Tunesien und Ägypten", prognostiziert der Vorsitzende der Oppositionspartei RCD, Said Sadi. "Algerien ist ein brutales Land, es gibt keine breite Mittelschicht." Im Gegensatz etwa zu Tunesien sei zu befürchten, dass sich der Gewerkschaftsdachverband UGTA auf die Seite der Regierung stellen werde, um seine eigene Machtposition und das korrupte System zu erhalten.

Nachwirkungen des Bürgerkrieges

Der Bürgerkrieg zwischen Islamisten und Regierungsanhängern ist noch immer nicht überwunden; er kostete in den 1990er Jahren mehr als 150.000 Algeriern das Leben. "Es mangelt an sozialem Zusammenhalt", betont Sadi. Wenn Leute wie Ex-Ministerpräsident Ahmed Benbitour und islamistische Parteien nun ein Ende der lauten Proteste forderten, würden sie die Lage völlig verkennen. "Benbitour verhält sich, als wenn wir bereits in einer Übergangsphase wären. Dabei sind wir davon noch weit entfernt", sagt Sadi.

dpa